Berlin (epd). Gegen die Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu vermeintlichen „Problemen im Stadtbild“ gibt es weiterhin Kritik aus Gesellschaft und Politik. Eine Petition sammelte innerhalb eines Tages mehr als 100.000 Unterschriften. Außerdem widersprachen unter anderem die Diakonie und die Türkische Gemeinde in Deutschland dem Kanzler. Wie ein Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte, ging zudem eine Strafanzeige wegen möglicher Volksverhetzung gegen Merz ein.
Diese wird laut Staatsanwaltschaft nun geprüft. Allein der Eingang einer Anzeige bedeute nicht, dass ermittelt wird. Die Hamburger Rechtsanwältin Tugba Sezer hatte zuvor auf Instagram eine fünfseitige Muster-Strafanzeige zur Verfügung gestellt.
Die am Dienstag gestartete Petition unter dem Titel „Wir sind die Töchter“ gegen eine weitere Äußerung von Merz erreichte bis Mittwochnachmittag mehr als 120.000 Unterschriften. „Strukturelle Gewalt gegen Frauen ist das Problem“, erklärte die Initiatorin Cesy Leonard, Gründerin der Aktionskunstgruppe „Radikale Töchter“. Diese Gewalt finde fast immer im eigenen Zuhause statt, die Täter seien „nicht irgendwelche Menschen im Stadtbild“, sondern Ehemänner, Väter oder ehemalige Partner. Zu den Unterstützerinnen zählen den Angaben zufolge etwa die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und die Schauspielerin Marie Nasemann („Armans Geheimnis“).
Diakoniepräsident Rüdiger Schuch sagte, Probleme bei der Integration von Zuwanderern müssten zwar angesprochen werden. Dann müssten sie aber „mit einer sachorientierten Politik gemeinsam gelöst werden, ohne Polemik und in gegenseitigem Respekt“.
Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer kritisierte am Mittwoch im RBB-Inforadio den Bundeskanzler. Dieser könne Politik nicht einfach kommentieren, sondern trage selbst Verantwortung für die Gesellschaft. „Ich glaube, da hat der Kanzler schon auch die Aufgabe, seinen Worten entweder Klarheit zu verleihen oder sie mit politischen Vorschlägen zu versehen“, sagte Schweitzer.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, wies im „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ darauf hin, dass in Stuttgart 60 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund hätten und friedlich miteinander lebten: „Das ist einfach die Realität.“
Merz war vergangene Woche mit einer Äußerung über die Migrationspolitik in die Kritik geraten. Ihm zufolge gebe es „im Stadtbild noch dieses Problem“. Die Äußerung wurde in sozialen Netzwerken kritisiert, weil sie als Ablehnung von Migranten gewertet wird. Auf die Frage eines Journalisten am Montag, was er damit konkret gemeint habe, sagte Merz, der Journalist solle, wenn er Töchter habe, diese fragen. „Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort“, sagte Merz, ohne wiederum selbst zu präzisieren, was er konkret als Problem versteht.
Am Dienstagabend demonstrierten gegen diese Aussage nach Veranstalterinnenangaben bis zu 7.500 Personen unter dem Motto „Wir sind die Töchter“ vor der CDU-Zentrale in Berlin. Die Polizei sprach von bis zu 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Laut dem Kriminologen Thomas Bliesener liegt die Gefahr, dass Frauen Gewalt durch Männer erfahren, in den eigenen vier Wänden deutlich höher als auf der Straße. Ob dabei Migranten häufiger Täter seien als Einheimische, werde in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir wissen aber, dass Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen bei Personen mit Migrationshintergrund stärker vertreten sind.“ Diese Haltung zu ändern, sollte Aufgabe der Politik sein.