Es duftet nach Holz, Licht flutet den Raum. Manchmal brechen sich die Sonnenstrahlen am transparenten Altarkreuz in Regenbogenfarben. Wer den Kopf in den Nacken legt, kann durch die gläserne Kuppel im Dach der Schneverdinger Eine-Welt-Kirche der schwingenden Glocke zusehen. Optisch bestimmt ein riesiger und tonnenschwerer Altar mit Erde aus aller Welt in dem Heideort zwischen Hamburg und Bremen das evangelische Gotteshaus: eine Verbindung aus Licht, Duft und Erde, die auch im 25. Jahr ihres Bestehens viele Besucher in ihren Bann zieht.
Unter ihnen sind an diesem Sonntag Waltraud und Günter Blessing, die aus der Stuttgarter Region in den Norden gekommen sind, um hier Urlaub zu machen. Sie nehmen sich viel Zeit für die Kirche, erkunden den Altar und den Raum, der architektonisch mit Kreis, Quadrat und Kreuzform die wichtigsten religiösen Symbole aufnimmt. "Diese Kirche zeigt in ihrer Vielfalt, dass wir alle zusammengehören", findet Waltraud Blessing.
Die Eine-Welt-Kirche wurde als Beispiel nachhaltiger Holzwirtschaft zur "Expo"-Weltausstellung vor 25 Jahren in Hannover errichtet. Die vielen Astlöcher in den Wänden verraten schon, dass beim Bau kein 1-A-Fichten- und Kiefernholz verwandt wurde, sondern minderwertiges Durchforstungsholz, das sonst meist in der Spanplatten- und Zellstoffindustrie verarbeitet wird. Durch eine in der Schweiz entwickelte umweltschonende Technik, bei der schwächere Bretter fest verbunden, "gestapelt" werden, entstanden tragende Elemente. Außen schützt wetterbeständiges Eichenholz die Fassade.
"Der Bau ist weltweit die erste Kirche, die in der Brettstapeltechnik errichtet wurde", erklärt Kirchenvorsteher und Holz-Fachmann Mirko Gerigk. Die Technik sei zugleich ein schönes Sinnbild für die Gemeinde: "Zusammenhalt macht stark." Dass es anfangs auch Gemeindemitglieder gab, die von dem Konzept nicht ganz so begeistert waren und den Komplex als "Holzhütte" und "Bretterbude" beschimpften, ist mittlerweile Geschichte.
Eine-Erde-Altar zeigt Bodenproben aus aller Welt
Das Gebäude ist eines von nur drei sakralen Neubauten der hannoverschen Landeskirche seit der Jahrtausendwende. "Ein lichtes, luftiges Gotteshaus mit Glasdach, aus dem der Blick direkt bis in den Himmel reicht", schwärmt Gemeindepastor Kai-Uwe Scholz. Der einzigartige Eine-Erde-Altar zeige in Tausenden Bodenproben aus aller Welt die bunte Fülle von Gottes Schöpfung, "ein Spiegel der Welt".
Im dreiflügeligen Altar der Hamburger Künstlerin Marianne Greve ist Platz für bis zu 7.000 sogenannte Erdbücher, quaderförmige Hüllen aus durchsichtigem Acrylglas. Wer will, kann über das Internet recherchieren, woher die Erde kommt und sieht: Das Kunstwerk vereint Himmel und Hölle, paradiesischen Strand und blutgetränkten Boden. So erinnert feiner Sand, wie Puderzucker, an einen Urlaub am Strand des polnischen Ostseebades Kolobrzeg. Eine Handbreit davon entfernt steht Erde vom Tiananmen-Platz in Peking, wo im Juni 1989 auf Geheiß der chinesischen Führung Studentenproteste blutig niedergeschlagen wurden.
In der Nähe birgt ein Buch die braune Erde und ein Stück vom Stacheldrahtzaun des NS-Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Seit Einweihung der Kirche vor gut 25 Jahren sind rund 5.600 Bücher mit Erde aus aller Welt in den Altar eingestellt worden. Und es wird weiter gesammelt. Wer will, kann jederzeit Proben einsenden. Das Projekt sei "Work in Progress", meint Marianne Greve. "Die Erde und der Altar sind ein Symbol für die Vielfalt auf unserem Globus, für die Gemeinschaft der Weltbevölkerung und für die Abhängigkeit vom Boden, von und mit dem jeder lebt."
So sieht es auch Waltraud Blessing. "Dass hier Boden von Tausenden Stellen auf der Erde zusammengebracht wird, das berührt mich", betont sie und ergänzt: "Außerdem geht mitten durch die Kirche ein öffentlicher Weg - das begeistert mich auch." Kirchenführerin Renate Berger hat erfahren, dass der Sakralbau Menschen aus der ganzen Welt anzieht. "Dabei fasziniert der Altar die jährlich etwa 7.000 Gäste am meisten." Die Kirche ist aber nicht nur ein touristischer Anziehungspunkt in der Heide. Sie ist und bleibt vor allem der Mittelpunkt im Alltag der Gemeindemitglieder, die hier zusammenkommen, trauern und feiern.
Dazu gehören Marianne und Ingo Rieckmann, die in der Kirche bereits drei Ehejubiläen begangen haben. "Hier haben wir uns gleich wohlgefühlt", erinnert sich Marianne Rieckmann. "Gerade, weil es hier so schön modern und anders ist." Mit dem Erntedankgottesdienst am 5. Oktober um 11 Uhr will die Gemeinde in einer Art Finissage den Abschluss des Jubiläumsjahres in der Eine-Welt-Kirche Schneverdingen feiern. Dabei soll auch eine Ausstellung von "Kirchen-Schätzen anderer Art" vorgestellt werden.