Seenotretterin: Angriff der libyschen Küstenwache bisher beispiellos

Seenotretterin: Angriff der libyschen Küstenwache bisher beispiellos
27.08.2025
epd
epd-Gespräch: Moritz Elliesen

Frankfurt a.M., Augusta (epd). Beim jüngsten Angriff der libyschen Küstenwache auf die „Ocean Viking“ ist laut der Seenotretterin Lucille Guenier nur durch viel Glück niemand getötet worden. Dieses Ausmaß an Gewalt habe es bisher nicht gegeben, sagte die Kommunikationsverantwortliche an Bord dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch im sizilianischen Hafen Augusta: „Ihre Absicht war, Menschen umzubringen.“ Von der Europäischen Union (EU) forderte die Seenotretterin ein sofortiges Ende der Kooperation mit der libyschen Küstenwache.

Die „Ocean Viking“ war nach Angaben der Betreiberorganisation SOS Méditerranée am Sonntag von einem Patrouillenboot der libyschen Küstenwache beschossen worden. Zum Zeitpunkt des Angriffs waren neben der Crew 87 aus Seenot gerettete Geflüchtete an Bord. Die Überlebenden verließen das Rettungsschiff am Montagabend in Augusta.

Sie arbeite seit drei Jahren auf dem Schiff und habe bei Einsätzen viele gewaltsame Eingriffe der libyschen Küstenwache beobachtet, sagte Guenier. „Aber es ist das erste Mal, dass wir hätten sterben können.“ Die libysche Küstenwache habe direkt auf die Fenster der Brücke und damit in etwa auf Kopfhöhe gezielt. Auch die Rettungsboote der „Ocean Viking“ seien unter Beschuss genommen worden. „Es ging nicht bloß um Einschüchterung.“

Laut den Schilderungen der Seenotretterin befand sich die „Ocean Viking“ in internationalen Gewässern in der libyschen Such- und Rettungszone, als sich das Boot der Küstenwache näherte. Die Libyer hätten die „Ocean Viking“ zunächst per Funk zum Verlassen des Gebiets aufgefordert und den arabisch sprechenden Übersetzer beleidigt. Schon als man eingewilligt habe, Richtung Norden abzudrehen, sei schließlich das Feuer für mindestens 20 Minuten eröffnet worden. Dabei sei das ganze Schiff unter Beschuss genommen worden.

Guenier rief die EU angesichts des Angriffs auf, jegliche Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu beenden. „Wir erwarten, dass etwas passiert“, sagte sie: „Es muss ein Vorher und ein Nachher geben.“ Nach Angaben von SOS Méditerranée wurde das bei dem Angriff eingesetzte Patrouillenboot 2023 von Italien im Rahmen eines EU-Programms an die Libyer übergeben. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte am Dienstag, man habe die libyschen Behörden zwecks Aufklärung kontaktiert. Zu möglichen Folgen äußerte er sich nicht.