Genf (epd). Die Vereinten Nationen haben erstmals für eine Region im Gaza-Streifen den Zustand einer Hungersnot erklärt. Mehr als eine halbe Million Menschen in dem Gebiet in und um Gaza-Stadt seien von der Hungersnot betroffen, teilten das Welternährungsprogramm (WFP) und andere UN-Organisationen am Freitag in Rom mit. UN-Generalsekretär António Guterres forderte sofortiges Handeln. Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher warf Israel das gezielte Einsetzen von Hunger als Waffe vor.
Es werde davon ausgegangen, dass sich die Hungersnot in den kommenden Wochen auf die Gouvernements Deir al-Balah und Chan Junis ausbreite, teilten die UN-Organisationen mit. Das WFP bezieht sich auf den Experten-Bericht „Food Security Phase Classification“, der regelmäßig die Hungersituation in bestimmten Ländern und Gebieten analysiert. Das Welternährungsprogramm veröffentlichte die Analyse zusammen mit dem Hilfswerk Unicef, der Weltgesundheitsorganisation und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO).
„Keine Ausreden mehr“, erklärte UN-Chef Guterres: „Die Zeit zum Handeln ist nicht morgen - sie ist jetzt.“ Es brauche einen sofortigen Waffenstillstand, die unmittelbare Freilassung aller Geiseln und vollen ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe.
Der UN-Nothilfekoordinator Fletcher warf Israel vor, die Hungersnot gezielt als Waffe im Krieg gegen die islamistische Terrorgruppe Hamas einzusetzen. Es stünden genügend Lebensmittel bereit, um die mehr als zwei Millionen Menschen im Gaza-Streifen zu versorgen, sagte er in Genf. Doch Israel betreibe eine Politik der systematischen Blockierung und lasse die Lieferung ausreichender Mengen Lebensmittel und weiterer humanitärer Güter nicht zu. Fletcher forderte den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf, alle Grenzübergänge in den Gaza-Streifen für humanitäre Konvois zu öffnen.
Seit dem Überfall der islamistischen Hamas auf Israel im Oktober 2023 hat die israelische Armee den Gaza-Streifen weitgehend zerstört und abgeriegelt. Davor erreichten nach UN-Angaben täglich 500 bis 600 Lastwagen mit Hilfsgütern das Küstengebiet.
Die Warnzeichen dieser menschengemachten Katastrophe seien schon lange sichtbar, erklärte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider. „Die Feststellung der Hungersnot bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen.“ Schwer mangelernährte Kinder stürben vor den Augen ihrer Eltern, weil ihnen lebensrettende Hilfe verwehrt wird. „Dabei können sie nichts für diesen schrecklichen Krieg, der gerade in eine weitere Phase tritt.“
Die Menschen in Gaza hätten ihre Mitte ausgeschöpft, um ihr Überleben zu sichern, erklärte FAO-Generaldirektor Qu Dongyu. Die Menschen stürben an Hunger und Unterernährung, und die Zerstörung der Lebensmittelproduktion verschärfe die Lage weiter. „Der Zugang zu Essen ist ein Grundrecht“, sagte er.