Frankfurt a.M., La Paz (epd). Nach der Wahl vom Sonntag steht Bolivien vor einem Regierungswechsel. Der Christdemokrat Rodrigo Paz liegt nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der Stimmen überraschend vorn. Paz landete mit 32 Prozent der Stimmen vor dem früheren Präsidenten Jorge Quiroga, der auf 27 Prozent kam, wie die Wahlbehörde am Montagmorgen (Ortszeit) mitteilte. Die beiden konservativen Politiker treffen nun in der Stichwahl am 19. Oktober aufeinander. Damit wird die linksgerichtete „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) nach knapp 20 Jahren von der Macht abgelöst.
Der Unternehmer Samuel Doria Medina, der sämtliche Umfragen angeführt hatte, landete mit 20 Prozent auf dem dritten Platz. Auf ihn folgte der linksgerichtete Kandidat Andrónico Rodríguez, der 8 Prozent erhielt. Eduardo del Castillo von der MAS wurde mit 3 Prozent abgestraft. Wahlumfragen sind in dem südamerikanischen Land chronisch unzuverlässig.
„Wir wollen den Wiederaufbau des Vaterlandes“, sagte Paz in seiner Siegesrede: „Die Wirtschaft soll den Menschen gehören, nicht dem Staat.“ Der 57-jährige Christdemokrat hatte einen diskreten Wahlkampf geführt, er konzentrierte sich vor allem auf soziale Medien und Mund-zu-Mund-Propaganda. Damit setzte er sich von Doria Medina und dem neoliberalen Quiroga ab, der bereits 2001/2002 regiert hatte.
Der frühere Präsident Evo Morales (2006-2019), der nicht zur Wahl zugelassen worden war, hatte aufgerufen, mit ungültig zu stimmen. 19 Prozent der Wählerinnen und Wähler folgten diesem Ratschlag, etwa 2 Prozent gaben leere Wahlzettel ab. Mit dem amtierenden Staatschef Luis Arce ist Morales völlig zerstritten, ihre vormals mächtige MAS mehrfach gespalten. Mit dem Ergebnis von 3 Prozent konnte sie gerade noch ihren Status als zugelassene Partei sichern. Arce verzichtete auf eine weitere Kandidatur.
Anders als in oft polarisierten Nachbarländern stimmt die Bevölkerung in Bolivien mit dem Wahlergebnis für einen Weg der Mitte mit moderaten marktwirtschaftlichen Reformen. Paz, dessen Vater Jorge Paz Zamora das Land von 1989 bis 1993 regiert hatte, präsentierte sich als unverbrauchter, bescheidener Mann der Mitte. Die weitverbreitete Politikverdrossenheit traf auch die altbekannten Politiker Doria Medina und Quiroga.
Ergebnisse für die Kongresswahlen, in denen die 166 Mitglieder beider Parlamentskammern bestimmt werden, lagen am Montagmorgen noch nicht vor. Beobachter gehen davon aus, dass die Linke auch dort klar in die Opposition verwiesen wird. Die Wahlergebnisse sind eine Reaktion auf eine gravierende Wirtschaftskrise in Bolivien. Bei Benzin, Medikamenten und einzelnen Lebensmitteln kommt es zu Engpässen. Die Exporte von Erdgas oder landwirtschaftlichen Produkten können den steigenden Importbedarf nicht mehr decken, Dollar sind auf dem Schwarzmarkt sehr begehrt. Die Inflation liegt bei 25 Prozent.