Hinter Transparenten mit der Aufschrift "Meine Hilfe ist keine Sünde - Stoppt die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen!" zogen nach Schätzung von Volz rund 2.000 Menschen vom Klinikum zum Amtsgericht Lippstadt, in dem anschließend die Verhandlung des Arbeitsgerichts Hamm stattfand. Die inzwischen abgewiesene Klage des Lippstädter Chefarztes und Gynäkologen gegen seinen Arbeitgeber, das Klinikum Lippstadt, richtete sich gegen zwei Weisungen, die ihm medizinisch induzierte Schwangerschaftsabbrüche sowohl in der Klinik als auch in seiner Privatpraxis untersagen. (AZ: 2CA 182/24)
Volz äußerte sich enttäuscht über die Gerichtsentscheidung. "Wenn unser Staat möchte, dass das Urteil so gilt, müssen wir den politischen Weg gehen, um das Recht zu ändern", sagte der Mediziner. Das zeigten auch über 230.000 Menschen, die seine Petition unterschrieben hätten. "Wir haben hier heute für eine Sache verhandelt, die nicht nur für mich wichtig ist, sondern für das ganze Land", sagte der Chefarzt weiter. Die Würde des ungeborenen Lebens sei untrennbar von der Würde der Frau, die dieses Leben trage.
Das Erzbistum Paderborn hob hervor, dass Schwangerschaftsabbrüche auch an katholisch mitgetragenen Kliniken möglich seien, wenn das Leben der Mutter oder des ungeborenen Kindes akut bedroht sei. Auch gebe es sowohl im katholischen wie im evangelischen Krankenhaus jeweils eine Ethikkommission. Die fusionierte Klinik sei aktuell damit befasst, die beiden Gremien zusammenzuführen und neu aufzustellen. "Unsere ethische Haltung ist keine Einmischung in persönliche Entscheidungen, sondern Ausdruck eines Menschenbildes, das jedem Leben, von der Empfängnis an, Würde und Schutz zuspricht", erklärte das Erzbistum. Zugleich verwies das Erzbistum darauf, dass es nicht unmittelbar Prozesspartei sei.
Hintergrund der Weisung ist die Fusion des evangelischen Krankenhauses in Lippstadt mit dem katholischen Dreifaltigkeits-Hospital und dem Marien-Hospital in Erwitte. Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hatte zuvor erklärt, dass das Klinikum ein berechtigtes Interesse daran habe, "dass ihr leitender Mitarbeiter in seinem Dienst nichts tut, was dem katholischen Verständnis vom menschlichen Leben so diametral entgegenläuft wie eine Abtreibung", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag). Nach einem Betriebsübergang könne der neue Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach eigenem Ermessen ausüben und sei nicht daran gebunden, was vorher galt, sagte der Jurist, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist.
Bonner Ethiker sieht Bedarf an kirchlicher Debatte
Der Bonner Ethiker und Theologe Hartmut Kreß sagte angesichts des Streits um das Abtreibungsverbot, dass in diesem Fall verschiedene Ebenen des im Grundgesetz verankerten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu diskutieren seien. Zwar sage der Träger, in Ausnahmen Abbrüche bei Gefahr für Leib und Leben der Frau zuzulassen. Das sei aber "eine sehr stark irreführende Aussage", betonte der evangelische Theologe. Denn Paragraf 218a Absatz 2 des Strafgesetzbuches erlaube auch Schwangerschaftsabbrüche nach pränataler Diagnostik, etwa bei Fehlbildungen.
Selbst wenn das kirchliche Selbstverwaltungsrecht verfassungsrechtlich garantiert sei, gelte es laut Grundgesetz "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes", betonte Kreß. Auch katholisch getragene Kliniken müssten sich nach den Normen des Gesetzgebers richten.
"Da kann keine Moralvorgabe einer Klinik an die Stelle des persönlichen Gewissens des Arztes treten" Hartmut Kreß
Zudem berühre der Fall Grundrechte - etwa die Therapiefreiheit, die Berufsausübungsfreiheit und ethisch die Gewissensverantwortung des Arztes. Volz betreue Fälle wie Föten mit Anenzephalie, bei denen die Kinder nicht lebensfähig sind. Ein Abbruch auf Wunsch der Frau sei nachvollziehbar und legal. "Da kann keine Moralvorgabe einer Klinik an die Stelle des persönlichen Gewissens des Arztes treten", sagte Kreß.
Zwar müssten institutionelle Schutzansprüche kirchlicher Träger und individuelle Grundrechte gegeneinander abgewogen werden, im Zweifel hätten letztere aber Vorrang, sagte Kreß. Der Europäische Gerichtshof habe bereits zugunsten individueller Grundrechte entschieden, das Bundesverfassungsgericht müsse sich in Zukunft auch in diese Richtung bewegen, sagte Kreß. Das Grundgesetz stelle die Würde und Rechte des Einzelnen in den Vordergrund. Kreß kritisierte die Kirchen. Die katholische Kirche müsse ihre Haltung zum Schwangerschaftsabbruch und zu den Rechten der Frau überdenken. "Das ist aus ethischen Gründen überfällig", sagte er.
Die evangelische Kirche habe versäumt, ihre liberaleren Positionen in den Fusionsverhandlungen der Kliniken zu behaupten. "Ich kritisiere mit Nachdruck, dass die evangelische Kirche ihre eigenen Positionen aufgibt", sagte Kreß. Dabei habe sie sich in biomedizinischen Fragen bislang offener und teils liberaler gezeigt und das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen geachtet.
Seit März firmieren die Kliniken gemeinsam als Klinikum Lippstadt - Christliches Krankenhaus. Der Gesellschaftsvertrag untersagt laut Erzbistum Paderborn Schwangerschaftsabbrüche und assistierten Suizid. Ausgenommen sind Abbrüche in Notfällen, wenn sonst Lebensgefahr für die Mutter bestünde.