"Das sind Kinder, die stellen sich tot, wenn über ihnen der Himmel surrt", erzählt Kai Feller. Der Ökumenepastor aus Lübeck engagiert sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs für die Menschen in der Ukraine. Gerade ist er von einem einwöchigen Besuch zurückgekehrt.
In der südukrainischen Frontstadt Cherson habe er Menschen getroffen, "die bewusst geblieben sind". Diese Haltung beeindrucke ihn zutiefst. Viele Menschen in Cherson hätten sich trotz ständiger Angriffe entschieden, ihr Leben wieder aufzubauen. Straßen werden neu gemacht, Dörfer wieder aufgebaut. "Und die Hoffnung ist, dass die Menschen wieder zurückkehren, was vereinzelt auch schon geschieht", berichtet Feller.
Im Westen des Landes sei die Front hingegen weit weg. "Ich war in Lwiw, ganz im Westen der Ukraine, da ist das Leben so ähnlich wie hier", erzählt der Pastor. "Die Menschen, also gerade die jungen Männer, beschäftigen sich eigentlich am meisten damit, dass sie da nicht hin müssen."
Für Feller war es nicht der erste Besuch. "Drei Tage nach der Invasion haben wir in Ratzeburg den Verein 'Ratzeburg hilft' gegründet." Erst habe der Verein Hilfsgüter gesammelt, später Equipment für Krankenhäuser gekauft. "Irgendwann bin ich dann auch selber gefahren und habe Sachen hingebracht, habe Kontakte geknüpft, um dort auch die Menschen zu unterstützen." Sein Engagement ist persönlich motiviert. "Ich bin in den 80ern in Ostberlin aufgewachsen, als Pazifist verfolgt worden. Ich weiß, wie es ist, für Freiheit zu kämpfen. Deshalb bin ich auf der Seite derer, die das heute tun."
Feller sieht die Ukraine nicht nur als Opfer eines Angriffskriegs, sondern als Schutzschild Europas. "Russland hat angekündigt, dass Lettland, Litauen und Estland als Nächstes dran sein werden." Auch dort kenne er kirchliche Partner, die er im September besuchen werde. Für ihn steht fest, "dass die Ukraine Europa verteidigt. Wir dürfen da nicht einknicken."
Als Pazifist Befürworter militärischer Mittel
Trotz seines christlich-pazifistischen Hintergrunds hat Kai Feller eine klare Haltung zur militärischen Unterstützung: "Ich bin Pazifist - aber gerade deshalb sage ich: Wenn ein Aggressor einseitig eine Aggression begeht, dann muss das beendet werden." Im Fall von Russland sei das aus seiner Sicht nur mit militärischen Mitteln möglich. Feller vergleicht: "Auch Deutschland konnte 1945 nur mit Gewalt befreit werden."
In Cherson unterstützt der Pastor zusammen mit dem Verein "Ratzeburg hilft" ein Kinderzentrum, das einen Bunker zu einer unterirdischen Schule umgebaut hat. "Es ist das erste Mal, dass die Kinder seit drei Jahren wieder Präsenzunterricht bekommen." Seit der Corona-Pandemie sei allen bewusst, wie wichtig es ist, dass Kinder zusammenkommen, gemeinsam spielen und lernen. "Dort können sie das, ohne Angst vor den Drohnen zu haben", betont Feller.
30.000 Euro hatte er im vergangenen Winter für die unterirdische Schule bereits gesammelt. Bei seiner jetzigen Reise hat er mit dem Transporter der Kirchengemeinde Lauenburg Material nach Cherson gebracht. "Wir haben von der Lübecker Flüchtlingshilfe Feuerlöscher, Verbandskästen und Monitore bekommen." Doch es gebe noch mehr, das gebraucht wird, erklärt Feller. Technik etwa, die beim Überleben und gegen Drohnen hilft. "Dann kann man sich möglicherweise noch in Sicherheit bringen."
Besonders beeindruckt haben Kai Feller die Menschen, die mitten im Krieg Hoffnung haben. Da gebe es die, die an der Front die Stellung halten und ihr Land verteidigen. "Die haben eine sehr optimistische Grundeinstellung, die glauben, dass sie zum Beispiel 2026 die Krim zurückerobern können." Außerdem gebe es die Freiwilligen, die sich etwa um traumatisierte Kinder kümmern und psychotherapeutisch mit ihnen arbeiten.
Kai Feller hofft, dass Europa aufhört, sich auf Amerika zu verlassen. "Meine Hoffnung ist, dass wir die Verteidigung der Ukraine als unsere eigene Selbstverteidigung begreifen."