Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schärft die Kriterien für die Festlegung eines Landes als sicheren Herkunftsstaat für Flüchtlinge. EU-Mitgliedstaaten müssten einen solchen Schritt genau begründen und die Informationsquellen für diese Einschätzung offenlegen, urteilte der EuGH am Freitag in Luxemburg. Denn die Bestimmung eines sicheren Herkunftsstaats und das damit einhergehende beschleunigte Asylverfahren müssten gerichtlich kontrolliert werden können. (AZ: C-758/24 und C-759/24) Kritik an dem Urteil kam von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Das Urteil steht im Zusammenhang mit dem umstrittenen „Albanien-Modell“ der italienischen Regierung. Dieses sieht vor, im Mittelmeer gerettete Geflüchtete und Migranten in von Italien betriebenen Zentren in Albanien unterzubringen, damit sie dort ihre Asylverfahren durchlaufen. Allerdings entschied der EuGH nicht grundsätzlich, ob dieses Vorhaben mit EU-Recht vereinbar ist oder nicht.
Im konkreten Streitfall ging es um zwei Flüchtlinge aus Bangladesch, die im Mittelmeer von den italienischen Behörden gerettet und nach Albanien gebracht wurden. Ihre Asylanträge wurden im Schnellverfahren wegen der Festlegung Bangladeschs als sicherer Herkunftsstaat als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Bangladesch war erst kurz zuvor per Dekret von der Regierung Melonis als sicherer Herkunftsstaat festgelegt worden.
Ein italienisches Gericht sah dieses Vorgehen als EU-rechtswidrig an und wandte sich an den EuGH. Unter anderem wurde laut EuGH bemängelt, dass nicht die Informationsquellen angegeben worden seien, auf deren Grundlage Bangladesch als sicher eingestuft wurde.
Das EU-Gericht urteilte nun, dass ein EU-Mitgliedstaat einen Drittstaat zwar grundsätzlich durch einen Gesetzgebungsakt als „sicheren Herkunftsstaat“ bestimmen dürfe. Allerdings müsse dies wirksam gerichtlich überprüft werden können. So müssten „die Informationsquellen, auf denen eine solche Bestimmung beruht, sowohl für den Antragsteller als auch für das zuständige Gericht hinreichend zugänglich sein“. Nur so könne ein effektiver Rechtsschutz erreicht werden. Zudem dürften EU-Mitgliedstaaten einen Staat in die Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ nicht aufnehmen, „wenn dieser Staat nicht seiner gesamten Bevölkerung einen ausreichenden Schutz bietet“.
Italiens Regierungschefin Meloni kritisierte das Urteil aus Luxemburg als „beunruhigend“. Auf der Internetplattform X warf die rechtsgerichtete Politikerin der europäischen Justiz eine Überschreitung ihrer Zuständigkeiten vor. Der EuGH habe beschlossen, die Entscheidung über Teile der italienischen Migrationspolitik „einem beliebigen nationalen Richter zu überlassen“, erklärte Meloni. Dies schwäche die Politik zur „Bekämpfung der illegalen Masseneinwanderung und zum Schutz der nationalen Grenzen“.
Italien und Albanien hatten 2023 ihr umstrittenes Migrationsabkommen vereinbart. Mehrmals scheiterte die Unterbringung von Schutzsuchenden in den Zentren jedoch vor nationalen Gerichten. Ein ähnliches Vorhaben von Großbritannien, das die Auslagerung von Asylverfahren ins ostafrikanische Ruanda vorsah, wurde ebenfalls wegen juristischer Einwände gestoppt. Auch in Deutschland wurde darüber diskutiert, Asylverfahren in Drittstaaten zu verlegen.
Eine Auslagerung von Asylverfahren nach Albanien wird von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert. Die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith, bemängelte unter anderem einen fehlenden Zugang zu Rechtsschutz und Intransparenz.