Psychologe: Wacken hat eine spirituelle Dimension

Psychologe: Wacken hat eine spirituelle Dimension
30.07.2025
epd
epd-Gespräch: Stefan Fuhr

Wacken (epd). Der Psychologe Nico Rose hat die Seele der Metal-Fans vermessen und unter anderem den Bestseller „Hard, Heavy & Happy“ verfasst. Am Donnerstag präsentiert er beim Wacken Open Air mit der Metal-Sängerin Sabina Classen das gemeinsame Buch „Laut. Stark. Leben - Zur Hölle mit den Selbstzweifeln“. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) beschreibt Rose, was die besondere Faszination des Festivals ausmacht und worin es einer Pilgerfahrt ähnelt.

epd: Was zieht jedes Jahr 80.000 Metal-Fans nach Wacken - trotz Staus, Schlamm und Dixi-Klos?

Nico Rose: Im Vordergrund steht natürlich die Musik. Aber wichtig ist den Fans auch das Gefühl von Gemeinschaft und Angenommensein, das sie im Alltag oft vermissen. Wacken ist ein Ort, an dem niemand komisch angeschaut wird, weil er Metal hört oder sich anders kleidet. Die Metalheads bezeichnen Wacken als „Holy Ground“, als heiligen Boden. Das verdeutlicht die spirituelle Dimension, die das Festival für viele hat.

epd: Der Wacken-Besuch ist also eine Art Wallfahrt?

Rose: Es gibt zumindest Parallelen zum Religiösen. Man reist mit Gleichgesinnten, vollzieht Rituale - vom ersten Bier über das gemeinsame Headbangen bis zum ehrfurchtsvollen Niederknien, wenn man den Bereich vor der Bühne, das sogenannte Infield, betritt. Das Stampfen, die Energie, die in den Boden fließt, die wilden Drehbewegungen - das erinnert an schamanische Rituale. Die Fans führen einen spirituellen Dialog: Wir hören Metal - aber der Metal hört auch uns.

epd: Nimmt die Bedeutung des Festivals als Zufluchtsort angesichts multipler Krisen in der Welt zu?

Rose: Dazu gibt es keine Daten, aber ich vermute es. Denn in einer krisenhaften Gegenwart wird das Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Gemeinschaft, wie sie auf dem Festival erlebbar ist, größer. Die Musik spielt dabei eine entscheidende Rolle: Metal energetisiert die Fans. Das hat vermutlich mit den basslastigen Frequenzen zu tun, die sich physiologisch auswirken. Gleichzeitig schreiben viele der Musik eine heilende Kraft zu. Sie löst Angst und Anspannung.

epd: Dieser Lärm soll entspannen?

Rose: Wer nicht Metaller ist, kann das nicht nachvollziehen. Meine Frau zum Beispiel sagt: Wenn es mir eh schon dreckig geht, brauche ich nicht auch noch diesen Lärm. Ich dagegen kann mit diesem wüsten Krach sogar einschlafen.

epd: Was ist mit dem Vorwurf, Wacken sei zu kommerziell geworden? Bedroht das die Glaubwürdigkeit des Festivals? Inzwischen ist ja sogar der Finanzinvestor KKR an dem Open Air beteiligt.

Rose: Ich verstehe den Reflex, vor allem bei Leuten, die schon in den Neunzigern dabei waren. Aber Festivals sind inzwischen teuer - Logistik und Energie sind kostspielig. Auch die Ansprüche der Fans an den Komfort sind gestiegen. Ohne starke Partner kann da kein Festival überleben. Natürlich gibt es Auswüchse, die man hinterfragen kann. Kürzlich habe ich Wacken-Klopapier entdeckt, dessen Textur als besonders weich beworben wurde. Softness und harte Klänge - das ist dann schon ein schräger Widerspruch.