Jesiden fordern Kurden zur Freigabe von Sindschar auf

Jesiden fordern Kurden zur Freigabe von Sindschar auf
Bundesbeauftragter erinnert an verschollene 2.600 Jesidinnen
Vor elf Jahren überfiel die Terrormiliz "Islamischer Staat" die Gemeinschaft der Jesiden im Nordirak, ermordete und verschleppte Tausende. Der Zentralrat der Eziden in Deutschland fordert, den Weg für eine Rückkehr der Menschen freizumachen.

Lollar, Berlin (epd). Die Jesiden in Deutschland haben am Sonntag des Genozids an ihrem Volk vor elf Jahren im Nordirak durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ gedacht. Der Vorsitzende des Zentralrats der Eziden in Deutschland, Irfan Ortac, rief die Kurden dazu auf, den Jesiden die Rückkehr in ihre Heimat, die Sindschar-Region, zu gestatten. Seit elf Jahren suchten Jesiden vergeblich das Gespräch mit der kurdisch-muslimischen Seite, kritisierte Ortac bei der Gedenkfeier im mittelhessischen Lollar laut Redemanuskript. „Die Jesiden leben seit elf Jahren als Vertriebene im eigenen Land. Sie dürfen nicht in ihre Dörfer zurückkehren, nicht ihre Toten bestatten, nicht in Würde leben.“

Der Vorsitzende rief die kurdischen Parteien auf, „alle nicht legitimierten bewaffneten Gruppen“ aus Sindschar abzuziehen. Zugleich forderte er von der irakischen Zentralregierung, die Sicherheit der Jesiden endlich zu garantieren, mit dem Wiederaufbau zu beginnen und die Rückkehr der Binnenvertriebenen zu unterstützen.

Im August 2014 hatten Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Sindschar-Region überfallen und Tausende Männer ermordet, Frauen und Kinder versklavt, verschleppt und misshandelt. Immer noch leben nach Angaben des Zentralrats der Jesiden Zehntausende im Nordirak in Zelten und Notunterkünften. Der Bundestag erkannte im Januar 2023 die Verbrechen als Völkermord an.

An die deutsche Seite richtete der Zentralrats-Vorsitzende die Bitte, den Bundestagsbeschluss von 2023 umzusetzen, mit den Familien der Opfer in Deutschland einen Gedenkort zu schaffen. „Bekämpfen Sie den anti-jesidischen Rassismus - in Schulen, im Netz, auf der Straße“, bat er.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Thomas Rachel (CDU), erinnerte an die hunderten verschleppten Frauen und Mädchen, von denen weiter jede Spur fehlt. „Auch elf Jahre nach den grausamen Verbrechen ist das Schicksal von über 2.600 weiblichen jesidischen Entführungsopfern weiterhin ungewiss“, erklärte er am Sonntag in Berlin. Viele der Tausenden, die vor den Gräueltaten des IS geflohen sind, lebten immer noch in Flüchtlingscamps unter schwierigen Bedingungen.

Deutschland unterstütze Projekte zum Wiederaufbau und zur Aufarbeitung der Verbrechen, darunter Therapieangebote, die Suche nach Vermissten und die Instandsetzung von Wohnungen und Schulen in den Heimatregionen der jesidischen Gemeinschaft, sagte Rachel. Er forderte von der irakischen Regierung und den kurdischen Regionalbehörden ebenfalls ein entschiedenes Engagement. „Das heutige Gedenken erinnert uns daran, dass Religionsfreiheit kein abstraktes Prinzip, sondern von existenzieller Tragweite ist“, schrieb Rachel.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen. Die Gemeinschaft selbst schreibt sich „Êzîden“. Jesiden zählen sich mehrheitlich zur Volksgruppe der Kurden. Fanatische Muslime sehen die Gemeinschaft als Sekte und die Mitglieder als „Teufelsanbeter“ an, weil in der jesidischen Religion der „Engel Pfau“ (Melek Taus oder Tausi Melek) eine bedeutende Rolle spielt. Im Koran wird die Figur als gefallener Engel bezeichnet. Schätzungen zufolge leben mehr als 200.000 Jesidinnen und Jesiden in Deutschland - es ist die größte Gemeinde außerhalb des Iraks.