Osnabrück, Berlin (epd). Der jüdische Moderator, Aktivist und Sozialunternehmer Shai Hoffmann vermisst in Deutschland noch immer eine offene Diskussion über den Gaza-Krieg. Er erlebe den Meinungskorridor in Politik und Medien als viel zu eng, sagte der in Berlin lebende Mitbegründer des Nahost-Schulprojekts „Trialoge“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wer Verständnis für Palästinenser äußert oder die Politik Israels kritisiert, wird schnell in eine anti-israelische, antisemitische Ecke gestellt.“
Zwar habe sich die Beurteilung des Konfliktes vor allem vor dem Hintergrund der desaströsen humanitären Lage im Gazastreifen in den vergangenen Wochen ein wenig verändert, sagte Hoffmann. Doch diese ersten Versuche seien noch zu zaghaft. „Wir müssen mutiger Dinge benennen, wie sie sind.“ Medien müssten etwa darüber berichten, dass Israel, und nicht die Hamas, Journalisten den Zutritt zum Gazastreifen verbiete.
Hoffmann, der israelische Wurzeln hat, gründete als Reaktion auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit der Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun das Projekt „Trialoge“, das unter anderem mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis 2025 ausgezeichnet wurde. Gemeinsam bringen sie Schülerinnen und Schüler über den Nahostkonflikt miteinander ins Gespräch.
Dafür würden sie selbst fast täglich etwa als „Kapo-Jude“ oder „Hamas-Versteherin“ angefeindet, berichtete der 43-Jährige. „Das ist unser Leben. In diesem verengten und vergifteten Diskursklima versuchen wir, unseren Kompass immer wieder neu zu kalibrieren.“ Das sei oft anstrengend und schmerzhaft. Der gemeinsame Kompass seien die universell geltenden Menschenrechte. Darüber hinaus sei er nicht immer einer Meinung mit seiner Projektpartnerin Hassoun. „Manchmal müssen wir Dinge einfach nebeneinander stehen lassen und anerkennen, dass der Schmerz des anderen ebenso groß und berechtigt ist wie der eigene.“
Sie ermunterten auch die Jugendlichen, einander zuzuhören, ohne gleich zu urteilen, betonte Hoffmann. „Wir zeigen allein durch unsere Präsenz im Klassenraum, dass wir Menschen sind, die den jeweils anderen auch als Menschen wahrnehmen.“ Die überwältigende Nachfrage aus Schulen in ganz Deutschland zeige, wie groß die Lücke im Bildungssystem beim Nahostkonflikt sei. Aus Unsicherheit und Angst vor zu großen Emotionen mieden die meisten Lehrkräfte das Thema. „Sie haben Angst, dass ihnen das um die Ohren fliegt.“
Hoffmann, der sich mit mehreren Projekten für Dialog und Verständigung einsetzt, hält eine offene gesellschaftliche Debatte über Antisemitismus und das deutsche Verhältnis zu Israel für notwendig. „Israel ist nicht mehr das Land von David Ben Gurion.“ Israel unter Benjamin Netanjahu begehe in einem Krieg um sein Überleben als jüdischer Staat Menschenrechtsverletzungen. „Es interpretiert unsere demokratischen Werte völlig anders.“