Standards zur Aufarbeitung von Missbrauch vorgestellt

Standards zur Aufarbeitung von Missbrauch vorgestellt
Während aktuell offen ist, ob es von der Bundesregierung weiter Geld für Opfer sexualisierter Gewalt gibt, haben Betroffene, Institutionen und Experten Handlungsempfehlungen für die künftige Aufarbeitung vorgestellt.

Berlin (epd). Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs durch Schulen, Kirchen oder Vereine soll künftig von Anfang unter umfänglicher Beteiligung der Betroffenen erfolgen. Das ist die zentrale Forderung der am Freitag in Berlin vorgestellten „Standards der Betroffenenbeteiligung im Kontext institutioneller Aufarbeitung“. Erarbeitet wurden sie von Institutionen, Betroffenen und Experten auf Initiative der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, sowie des bei ihr angesiedelten Betroffenenrates und der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Claus erklärte zur Präsentation der mehr als 50 Seiten umfassenden Broschüre, Politik, Forschung und Institutionen setzten die Betroffenenbeteiligung und die Anerkennung von deren Expertise noch viel zu wenig um. Sie nannte die Handlungsempfehlungen „wegweisend“. Damit gebe es erstmals ein breit abgestimmtes Regelwerk für verbindliche Beteiligungsprozesse. In der Pressemitteilung war von einem Perspektivwechsel die Rede, „denn nicht mehr die Institutionen alleine definieren den Rahmen der Aufarbeitung“.

Die Standards betreffen unter anderem die Vernetzung von Betroffenen durch aufarbeitende Institutionen und die gemeinsame Entwicklung konkreter Schritte des Aufarbeitungsprozesses. Weitere Empfehlungen betreffen die Beteiligung Betroffener bei der Ausschreibung etwa von Studien und Gutachten sowie die Herstellung von „Transparenz und Wissensweitergabe nach innen“ gegenüber allen Beteiligten am Aufarbeitungsprozess. Dabei geht es etwa um die Dokumentation durch Verlaufs- und Ergebnisprotokolle. Zudem geht es um „Standards zur betroffenensensiblen Öffentlichkeitsarbeit“. Gemeint ist unter anderem der Umgang mit Klarnamen und Fotos von Betroffenen.

Die in der Broschüre definierten Handlungsempfehlungen entstanden den Angaben zufolge im Rahmen eines zweijährigen Dialogprozesses mit mehr als 150 Personen. Der Sozialpsychologe Heiner Keupp sagte als Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, er sei „tief beeindruckt, was in diesem Prozess geleistet wurde“.

Unter anderem lobte Keupp, dass im Rahmen künftiger Aufarbeitungsprozesse auf die Begleitung aller Beteiligten durch Supervision und Mediation Wert gelegt werde. Zugleich fragte er kritisch an, inwiefern die formulierten Standards künftig verbindlich sein werden und in welcher Weise Missbrauchsopfer etwa bei der Budgetplanung von Aufarbeitungsprozessen in Institutionen beteiligt würden.

Die frühere Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt sagte als Mitglied des Betroffenenrates bei der UBSKM, die Standards seien Instrumente, um Beteiligung einzufordern. Aufarbeitungsinitiativen ohne Beteiligung der Betroffenen blieben unglaubwürdig. Allerdings würden die Standards nicht die Frage beantworten, ob eine Institution auch glaubwürdig mögliche Missbrauchsfälle aufarbeiten wolle.

Die Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission, Julia Gebrande, betonte: „Unser Hauptziel im Dialogprozess war, dass Institutionen die Expertise der Betroffenen bei der Aufarbeitung besser einbeziehen.“