Genf (epd). Der Politikanalyst Richard Gowan hat das abnehmende Gewicht der Vereinten Nationen bei der Friedenssicherung weltweit beklagt. Die Großmächte USA, Russland und China seien für den Bedeutungsverlust zum großen Teil verantwortlich, bemängelte der Leiter für UN-Fragen bei der Denkfabrik International Crisis Group im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des 80. Jahrestages der Unterzeichnung der UN-Charta am Donnerstag (26. Juni).
„Die UN fallen durch ihre Abwesenheit als Friedensstifter auf“, sagte er. Bei den Kriegen in der Ukraine, in Nahost, Myanmar und Sudan seien sie marginalisiert. Zudem bemängelte Gowan, die Vereinten Nationen schauten den Konflikten oft nur zu. In den Gremien würden viele wütenden Debatten geführt, aber nur wenige dauerhafte diplomatische Erfolge erzielt.
Der Wissenschaftler befürchtet, dass die USA unter Präsident Donald Trump den Niedergang der UN als Friedensstifterin beschleunigen könnten. Die Trump-Regierung betrachte die Vereinten Nationen „als politisch links und anti-israelisch, und sie wird den UN in den kommenden Jahren weiterhin großen finanziellen und politischen Schaden zufügen“.
Für China sei der Weltbund in strategischer Hinsicht weniger wichtig, sagte Gowan. Das Land genieße in den UN viel Unterstützung unter den Entwicklungsländern und präsentiere sich gerne als verantwortungsvolle multilaterale Macht im Gegensatz zu den USA.
Russland betrachtet die UN dem Experten zufolge als Forum, um mit seiner Vetomacht den Westen herauszufordern. Moskau helfe auch Verbündeten wie Mali und Nordkorea, sich dem internationalen Druck zu entziehen. Die ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat garantiere den russischen Großmachtstatus.
In Afrika verfügen die UN laut Gowan über eine große Anzahl von Friedenstruppen. Aber Akteure wie einzelne Golfstaaten träten als Vermittler auf. Viele afrikanische Staaten begriffen die Vereinten Nationen als Instrument früherer Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien, um sich in ihre Angelegenheiten einzumischen. „Daher denke ich, dass die Rolle der UN auf dem Kontinent auch in Zukunft schrumpfen wird“, erläuterte er.
Vor 80 Jahren, am 26. Juni 1945, unterzeichneten Vertreter von 50 Staaten in San Francisco die UN-Charta. Am 24. Oktober 1945 trat das Regelwerk in Kraft. Angesichts des Zweiten Weltkrieges sollte der neue Staatenbund mit seinem Herzstück, dem Sicherheitsrat, eine Ära des gewaltlosen Miteinanders einleiten. „Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, wurde als Leitmotiv ausgegeben.