Nonnen denken ein Kloster neu

Nonnen denken ein Kloster neu
Die Abtei St. Hildegard bei Rüdesheim wird 125 Jahre alt
Sie halten das Andenken an die berühmte Heilige lebendig: Die Benediktinerinnen von St. Hildegard bei Rüdesheim. Das Kloster wurde vor 125 Jahren gegründet und ist für seine Zukunftsplanung als ein Nationales Projekt des Städtebaus ausgewählt.
22.06.2025
epd
Von Jens Bayer-Gimm (epd)

Rüdesheim (epd). Am Morgen des 2. Juli 1900 zieht eine Prozession von etwa 100 Priestern und Tausenden Gläubigen von der Wallfahrtskirche St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen durch die Weinberge. Oben am Hang des Rheintals wird der Grundstein gelegt für ein neues Kloster, das die Tradition der Hildegard von Bingen fortführen soll.

„Vielleicht regt sich hie und da der Einwand, dass eine solche Gründung unzweckmäßig oder doch unzeitgemäß sei“, sagt der Festprediger Odilo Wolff, Prior der Abtei Emmaus in Prag. Er entgegnet selbst: „Glaube lehrt die Erde verstehen und den Himmel erkennen, die Zeit beurteilen und die Ewigkeit begreifen. So wird dieses Kloster eine Schatzkammer werden für das ganze Land.“ Im September 1904 ziehen die ersten 15 Benediktinerinnen aus Prag in das neue Kloster St. Hildegard ein.

Die Nonnen knüpften an ein knappes Jahrtausend klösterlichen Lebens in der Region an. Es hatte sich im Umfeld der auf der anderen Rheinseite lebenden Hildegard von Bingen (um 1098-1179) angesiedelt, die Papst Benedikt 2012 heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben hat. Das 1148 gegründete Kloster in Eibingen war im Zuge der Säkularisation 1803 aufgehoben worden. Es war Fürst Karl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg (1834-1921), der den Plan einer Klosterneugründung fasste und das Geld dafür bereitstellte.

Der Architekt Ludger Rincklake (1851-1927) aus Münster, Benediktiner in Maria Laach, entwarf den Gebäudekomplex um zwei Innenhöfe und die Kirche im neuromanischen Stil. Die Wandmalereien wurden im Stil der Kunstschule der Beuroner Benediktiner, einer Vorläuferin des Jugendstils, ausgeführt.

In der Abtei leben aktuell 33 Nonnen im Alter von 34 bis 94 Jahren, wie Schwester Philippa Rath berichtet. Die Nonnen folgen der benediktischen Regel von „ora et labora“, bete und arbeite. Fünf Gebetszeiten zwischen 6 Uhr und 19.30 Uhr strukturieren den Tag. Die Schwesternschaft legt Wert auf Studium und Berufserfahrung, sagt Schwester Philippa. Sie selbst war Journalistin, als sie mit 33 Jahren die Berufung verspürte, ins Kloster zu gehen. „Ich mochte meinen Beruf, es war aber immer eine Leerstelle in meinem Leben“, erzählt sie. „Ich wollte immer meinen Glauben in Gemeinschaft konkret leben.“ Ihre Erfahrung nach 35 Jahren: „Ich habe es nie bereut!“

Das Kloster muss seinen eigenen Unterhalt erwirtschaften. Haupteinnahmequelle ist der Klosterladen, in dem etwa Wein aus dem eigenen Weingut, Dinkelprodukte, Kräutertees, Bücher, Tischutensilien und Schmuck angeboten werden. Daneben betreiben die Schwestern eine Restaurierungswerkstatt für alte Schriften, eine Keramikwerkstatt, eine Goldschmiede, ein inklusives Klostercafé und ein Gästehaus mit 20 Zimmern. Rund 30 Angestellte helfen beim Betrieb mit.

Vor einer Generation, 1990, lebten noch 60 Schwestern im Kloster St. Hildegard. Ein weiteres Schrumpfen der Schwesternschaft ist anzunehmen. „Wir wollen die Zukunftsfrage nicht zur Not werden lassen, sondern eine Tugend daraus machen“, sagt Schwester Philippa. Die Nonnen haben einen „Transformationsprozess“ begonnen. Fest stehe: „Wir wollen hier bleiben, auch wenn die Gemeinschaft kleiner wird. Wir müssen aber zusammenrücken, um Raum für andere Mitnutzer freizumachen.“

An Runden Tischen und in Workshops mit Fachleuten entwickeln die Schwestern Ideen, wie Teile des Klosters vermietet werden können: „Wir sind offen für andere Gruppen und führen Gespräche mit Institutionen, Dienstleistern und Wohninteressenten.“

Als eine Fügung erweist sich die Wahl des Klosters als eines von 17 Projekten für das Programm des Bundesbauministeriums „Nationale Projekte des Städtebaus“. In der Begründung heißt es: „Das Projekt steht exemplarisch dafür, wie die Transformation einer bedeutenden Abtei für nachhaltige Mit-Nutzungskonzepte im Sinne der Bauwende gestaltet werden kann. Es hat somit eine Vorbildfunktion für den Umgang und die Weiterentwicklung von Klöstern deutschlandweit.“

Damit stehen drei Millionen Euro für einen Umbau bis Ende 2028 zur Verfügung. Zunächst werden Gutachten für Baumaßnahmen, Brandschutz, Sanitäranalyse und Denkmalschutz erstellt. Parallel diskutiere die Schwesternschaft, wie die benediktinische Gastfreundschaft in Zukunft aussehen könnte, berichtet Schwester Philippa: „Wir möchten das Ideal eines offenen Hauses und einer offenen Kirche verwirklichen, in der jeder Mensch willkommen ist, der auf der Suche ist.“