Frankfurt a.M. (epd). Die Publizistin Katharina Nocun bezeichnet das Agieren der Bundesregierung bei der umstrittenen Zurückweisung von Asylsuchenden als gefährlich für die Demokratie. Ob die Maßnahmen im Rahmen des rechtlich Zulässigen seien, müssten Gerichte entscheiden, sagte Nocun dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Und da braucht es einen Respekt vor demokratischen Institutionen und auch vor Gerichtsurteilen.“ Ein Angriff auf Institutionen könne dazu führen, dass die normalen demokratischen Spielregeln zur Disposition gestellt werden.
Das Vorgehen von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist rechtlich umstritten. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am 2. Juni in drei Fällen entschieden, dass die Praxis der Zurückweisung an den Grenzen rechtswidrig ist. Dobrindt hatte daraufhin erklärt, trotzdem an der Praxis festzuhalten. Inzwischen kündigte der Minister an, der Europäische Gerichtshof solle sich mit den Zurückweisungen befassen.
Die Migrationszahlen seien in den vergangenen Monaten zurückgegangen und rechtfertigten nicht, von einer Notlage zu sprechen, sagte Nocun. Solche überspitzten Krisennarrative könnten die politische Radikalisierung befördern. Autoritäre Kräfte seien auf konstruierte Ausnahmezustände angewiesen, um ihre Machtübernahme und harte Maßnahmen zu legitimieren. „Wenn demokratische Parteien auf dieses Krisennarrativ einsteigen, bestellen sie ohne Not das Feld, damit hinterher diese Erzählungen gezielt eingesetzt werden können, um die Demokratie zu destabilisieren“, kritisierte die Publizistin.
Konservative Parteien haben Nocun zufolge eine große Verantwortung dafür, dass Stimmungen nicht ins Autoritäre kippen. Ob eine autoritäre Wende gelinge, stehe und falle oft mit der Frage, wie sich konservative Parteien verhielten - ob es eine Abgrenzung gebe oder ob Krisennarrative, gewaltvolle und verächtliche Sprache extremer Parteien übernommen würden.
Wenn das geschehe, trage das zur Normalisierung radikaler Parteien bei. Die erscheinen dann gar nicht mehr so radikal. Die Forschung belege, dass sich etablierte Parteien in der Vergangenheit keinen Gefallen getan hätten, wenn sie überspitzte Krisennarratve übernommen hätten: „Die Leute haben dann weit rechts gewählt und nicht konservativ.“
Nocun sagte, sie wünsche sich „eine ausgewogenere Diskussion darüber, wie wir mit Herausforderungen umgehen, ohne dass wir Artikel 1 des Grundgesetzes über Bord werfen“. Derzeit gehe es viel um Grenzen, wo nach aktuellen Zahlen gar nicht mehr so viele Menschen ankämen. Besser sei es, darüber zu sprechen, was bei der Integration besser zu machen zu sei oder wie Kommunen bei der Unterbringung unterstützt werden könnten. Es brauche eine aktivere Sozialpolitik, etwa bei Wohnen, Bildung oder Kinderbetreuung.