Antisemitische Vorfälle schränken Betroffene in Berlin zunehmend ein

Antisemitische Vorfälle schränken Betroffene in Berlin zunehmend ein
Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin hat sich 2024 fast verdoppelt. Zudem werden die Vorfälle laut Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus gewaltvoller und enthemmter. Betroffene vermissen Empathie und Solidarität.

Berlin (epd). Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) hat im vergangenen Jahr 2.521 antisemitische Vorfälle in der Hauptstadt registriert. Das ist im Vergleich zu 2023 fast eine Verdoppelung (plus 98,5 Prozent), wie Rias am Dienstag in Berlin mitteilte. Viele Vorfälle ereigneten sich online, vor allem auf Social-Media-Plattformen. Knapp 44 Prozent der Vorfälle (1.101) hätten einen Bezug zum Terror-Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 und das anschließende Kriegsgeschehen gehabt.

Im Jahresbericht 2024 dokumentiert wurden unter anderem zwei Fälle extremer Gewalt sowie 53 antisemitische Angriffe, ein Plus von 56 Prozent gegenüber 2023. Dabei wurden die Betroffenen getreten, geschlagen, bespuckt oder beworfen. In vielen Fällen nahmen demnach Täterinnen und Täter jüdische oder israelische Symbole zum Anlass für die Attacken auf jüdische Menschen.

Knapp die Hälfte der Vorfälle (1.015) betraf jüdische oder israelische Institutionen. In den allermeisten Fällen (1.001) erfolgten diese online, die meisten auf Social-Media-Plattformen oder per E-Mail. Pro Woche habe es zudem im Schnitt vier Versammlungen mit antisemitischen Vorkommnissen gegeben.

Die Vorfälle seien gewaltvoller und enthemmter geworden, sagte Rias-Projektleiterin Julia Kopp. Die Tatorte seien Straßen und Plätze, der öffentliche Nahverkehr, aber auch Hochschulen, Schulen und der Arbeitsplatz. Es gehe um Androhung von Gewalt, Vernichtungsfantasien oder Befürwortungen der Schoah.

Auch die Beschädigungen von Gedenkorten haben sich laut Statistik mit 54 Meldungen 2024 verdreifacht. So wurde im Mai auf einen Güterwaggon in Moabit, der als Mahnmal an die Deportation von Jüdinnen und Juden erinnern soll, „Free Palestine“ und „Fuck Israel“ gesprüht. Zudem wurden Trauerstellen und Gedenkorte für die Opfer vom 7. Oktober und die von der Hamas verschleppten Geiseln beschädigt.

Laut Rias wirken sich die vielen Vorfälle einschränkend auf den Alltag von Israelis, Jüdinnen und Juden aus. Das Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit habe sich in der Community seit dem 7. Oktober 2023 verschärft. „Antisemitismus prägt mittlerweile den Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin“, sagte Kopp. Auf viele von ihnen wirke das zermürbend. Dazu komme ein empfundener Mangel an Empathie und an Solidarität in der Gesellschaft - etwa, wenn der antisemitische Gehalt von Vorfällen infrage gestellt oder über Antisemitismus-Definitionen debattiert wird.

Es gebe in Berlin zunehmend und gesellschaftlich akzeptiert ein soziales Umfeld, in dem sichtbares jüdisches Leben als Zumutung empfunden werde, sagte auch Alexander Rasumny von der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, Ofek. Bei vielen Juden gebe es mittlerweile ein Gefühl des „permanenten belagert sein“ und der gesellschaftlichen Isolation. „Hier ist nicht nur die Politik, sondern auch die Zivilgesellschaft gefragt“, sagte er.

Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sprach von erschütternden Zahlen: „Uns muss alarmieren, wie sehr Jüdinnen und Juden in unserer Stadt unter Druck stehen!“