Hannover (epd). Debatten über die gesellschaftliche Rolle der Kirchen haben am Samstag den evangelischen Kirchentag in Hannover geprägt. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) verteidigte auf dem „Roten Sofa“ der evangelischen Publizistik ihre Forderung nach mehr Sinnstiftung durch die Kirchen. Die als Trump-Kritikerin bekannt gewordene US-amerikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde (65) ermutigte mit Blick auf die aktuelle Politik in den USA zur Geduld.
„Wir brauchen eine breite Koalition von Menschen, die sich einig sind, dass wir eine neue Vision für unser Land brauchen, die auf der Menschenwürde und gemeinsamen Werten beruht“, sagte die Bischöfin aus Washington dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das werde jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen. Budde sprach von einer „ziemlich traumatischen Zeit“ nach der Regierungsübernahme von Präsident Donald Trump. Momentan arbeiteten die Menschen sehr hart, um bestimmte Dinge zu schützen, die Schulen, die Migranten und Tausende von Menschen, die plötzlich ihre Arbeit verloren hätten.
Budde war mit einer Predigt am Tag nach der zweiten Amtseinführung von Trump weltweit bekannt geworden. Darin rief sie den anwesenden US-Präsidenten auf, Erbarmen und Mitgefühl mit den Schwächsten zu zeigen. Vom Publikum des Kirchentags in Hannover wurde sie mit stehenden Ovationen empfangen.
Klöckner stellte sich der Diskussion um ihre Aussage, wonach sie sich von den Kirchen weniger Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen erhoffe. Die Kirche müsse sich zu Sinnfragen äußern, bekräftigte Klöckner. Über die Kirche sagte sie: „Sie darf keine Partei sein.“ Kirche müsse ein Tick mehr sein als eine Nichtregierungsorganisation: „Und das Tick mehr sein ist der Glaube.“ Die Bundestagspräsidentin hatte sich an Ostern in der „Bild am Sonntag“ von den Kirchen mehr Sinnstiftung gewünscht. Ihre Äußerungen stießen auf teils scharfen Widerspruch.
Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer zog am Samstag die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, an. Sie rief vor rund 5.000 Menschen zu mehr Gottvertrauen in einer kriegs- und krisengeprägten Zeit auf. Die Auferstehung Jesu könne den Mut geben, für eine bessere Welt einzustehen, sagte sie in einer Bibelarbeit.
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff rief angesichts der politischen Entwicklungen in den USA dazu auf, europäische Werte zu verteidigen. „Unser Europa kann vorbildlich für eine weltoffene, liberale Gesellschaft bleiben“, sagte er. Der christliche Nationalismus in den USA habe mit dem Christentum nichts zu tun: „Jesus hat uns gelehrt, nicht eine bestimmte Ideologie zu lieben, sondern Menschen.“
Am Nachmittag verabschiedete der Kirchentag in Hannover eine Resolution für ein AfD-Verbot. Sie erreichte bei einer Veranstaltung mit dem Vorsitzenden des Weltkirchenrats, Heinrich Bedford-Strohm, das notwendige Quorum von 500 Stimmen. Damit reagierten die Teilnehmenden auf die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Der mitteldeutsche Bischof Friedrich Kramer äußerte sich jedoch zurückhaltend zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. „Ich finde den Ansatz, das politisch zu lösen, besser“, sagte Kramer, der auch Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer warnte unterdessen vor wachsender Kriminalisierung von Aktivismus und legitimem Protest in Deutschland. „Was wir jetzt schon im Kleinen erleben, ist Symbol einer großen Welle von Degradierung und Populismus gegen legitimen Protest“, sagte sie.