Ägyptens neue Plage

Foto: AFP/Getty Images
Protest gegem sexuelle Diskriminierung in Ägypten. Auf dem Plakat fordert die Demonstrantin "Freiheit und Gerechtigkeit für Frauen und Männer".
Ägyptens neue Plage
Rund 80 Prozent der Frauen in Ägypten sind schon einmal sexuell belästigt worden. Jetzt reicht es ihnen. Sie dokumentieren Übergriffe im Internet, laufen Patrouille in der U-Bahn. Die Frauen wollen sich nicht aus der Öffentlichkeit drängen lassen.
27.10.2012
epd
Julia Gerlach

Der Bus ist voll. Dicht gedrängt stehen die Menschen, und vielen Frauen ist anzusehen, wie unwohl sie sich fühlen. Sie wissen, was passieren wird. Mal ist es eine Hand, die sich von hinten zwischen die Beine schiebt, mal Männerpranken am Busen. Sexuelle Belästigung ist eine Plage für Ägyptens Frauen. "Und im Bus ist es besonders schlimm", sagt Samia Loubna. Die 23-jährige Studentin hat allerdings keine Wahl. Wenn sie zur Universität will, muss sie den Bus benutzen.

"Man hat schon das Gefühl, dass man uns die Lust auf Ausflüge verderben will. Wir sollen aus Angst vor Belästigung zu Hause bleiben", sagt sie. Loubna achtet auf ihr Äußeres, trägt einen langen Mantel und ein Kopftuch: "Das dient allerdings mehr dazu, meine Eltern zu beruhigen. Ich glaube, es macht keinen Unterschied, was man anhat, alle Frauen werden belästigt".

Übergriffe häufig an religiösen Feiertagen

Eine Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte hat bereits 2008 ergeben, dass mehr als 80 Prozent aller ägyptischen Frauen schon mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden sind. Besser ist es seitdem nicht geworden. Im Gegenteil. Immer öfter kommt es auch zu offenen Angriffen, besonders an religiösen Feiertagen wie dem islamischen Opferfest, das am Donnerstag begonnen hat und vier Tage dauert. Denn an Feiertagen gehen besonders viele Menschen in Kairo spazieren.

Eine Szene an der Nilpromenade: Drei Mädchen, bekleidet mit langen Röcken und modischen Kopftüchern plaudern, essen Popcorn. Von hinten stürmen Teenager heran, rempeln die Mädchen an, eine fällt zu Boden, ein Junge legt sich auf sie, reibt seinen Unterleib an ihr. Ein anderer Junge reißt ihr das Kopftuch ab. Bevor Passanten eingreifen, sind die Jugendlichen schon weiter.

Diese Szene ist nicht ungewöhnlich, das Besondere ist allerdings, dass sie im Internet dokumentiert ist: In den vergangenen Jahren hat nicht nur die sexuelle Belästigung stark zugenommen, es ist auch eine Gegenbewegung entstanden. Den Anfang machte die Initiative "Harassmap", gegründet von Frauenaktivistinnen. Sie dokumentieren im Internet sexuelle Übergriffe auf einer Karte von Kairo und zeigen, wo es besonders gefährlich ist.

Dokumentation im Internet

Die Idee wurde aufgegriffen: Inzwischen schicken sogar Zeitungen Reporter los, um Übergriffe zu dokumentieren. Über Facebook haben sich Gruppen zusammengefunden, die in den U-Bahnstationen Patrouille laufen. Sie tragen Transparente: "Was wäre, wenn deine Schwester das Opfer wäre?". 

"Es geht darum, den Leuten klarzumachen, dass sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist", sagt Amr Dir, einer der Aktivisten. Er sieht nicht nur die Zunahme von Übergriffen als Grund dafür, dass es derzeit so viele Kampagnen gegen sexuelle Belästigung gibt: "Es gibt auch eine politische Komponente, welche die Leute gegen Belästigung mobilisiert. Die Polizei benutzt Übergriffe, um Demonstrantinnen einzuschüchtern. Das war unter Mubarak so und daran hat sich nichts geändert", sagt er.

Samira Ibrahim ist eine der Aktivistinnen, die das Thema vorangebracht haben. Sie wurde im März 2011 verhaftet und berichtete anschließend, dass die Militärpolizei bei ihr einen Jungfräulichkeitstest gemacht habe. Kurz darauf wurde die "Frau mit dem blauen BH" weltberühmt, der bei der Verhaftung der Mantel abgerissen und von einem Militärpolizisten in den Bauch getreten wurde.

Auch nach der Machtübernahme durch Präsident Mohammed Mursi hat es Übergriffe auf dem Tahrir-Platz gegeben: Mehrere ausländische Journalistinnen wurden von größeren Männergruppen angegriffen. Zuletzt traf es Sonia Dridi, Reporterin des französischen Senders "France 24". Plötzlich habe sie überall Hände gespürt, und die Angreifer hätten versucht, ihr die Hose herunterzuziehen, berichtete sie.

Neues Gesetz in Vorbereitung

Inzwischen hat auch sich auch die ägyptische Regierung des Themas angenommen. Premierminister Hischam Kandil kündigte auf seiner Facebook-Seite an, dass er im Kabinett ein neues Gesetz vorbereite. Sexuelle Belästigung solle hart bestraft werden. "Es ist ein zerstörerischer Trend in unserer Gesellschaft", erklärte Kandil.

###mehr-artikel### Allerdings gibt es bereits Paragrafen im Strafgesetzbuch, die auf Belästiger angewandt werden könnten. Doch viele Frauen zögern, ihre Peiniger anzuzeigen. Oft werden sie auf der Polizeiwache weiter erniedrigt.

"Was soll man denn schon erwarten, wenn sexuelle Belästigung als normales Mittel zu Bekämpfung von Protesten von der Polizei eingesetzt wird. Das Einzige, was hilft ist ein drastisches Umdenken - der Bürger und des Staates", urteilt Aktivist Amr Dir. Samia Loubna, die Studentin, hat noch ein anderes Rezept: "Ich setze auf sofortige Rache. Ich habe immer eine lange Nadel bei mir, und wenn jemand grapscht, steche ich zu", sagt sie.