Weihnachtskrippe mal anders

Kurator Thomas Schindler vor der Konsum-Krippe von Rudi Bannwarth aus dem Jahr 2018
© epd-bild/Oliver Bodmer
Kurator Thomas Schindler vor der Konsum-Krippe von Rudi Bannwarth aus dem Jahr 2018.
Ausstellung "Crazy Christmas"
Weihnachtskrippe mal anders
Wer an Weihnachtskrippen denkt, hat oft windschiefe Scheunen, staunende Hirten und eine andächtige Kleinfamilie vor Augen. Dass es auch anders geht, zeigt das Bayerische Nationalmuseum mit seiner Ausstellung "Crazy Christmas" noch bis Ende Januar.

Krippe in knallbunt: Vor einem goldenen Himmel und pastellrosa Hügeln steht eine Maria, ganz ohne Josef, bei ihrem Kind. Sie trägt die Haare als ungebändigte Afro-Mähne mit grünen Blüten darin, und die drei Königinnen bringen Friedenstauben statt Gold, Weihrauch und Myrrhe. Irgendwo im Hintergrund lugt ein Soldat mit Gasmaske aus dem Gebüsch, auf seinem Helm prangt der Schriftzug "USA" - er ist der einzige Mann in der acht Meter breiten Sperrholzkrippe, die der Münchner Grafiker Walter Tafelmaier 1969 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks (BR) angefertigt hatte. "Es ist die einzige Flower-Power-Krippe weltweit, und sie ist weiblich, als Anspielung auf die wachsende Selbstbestimmung von Frauen in den 1970er-Jahren", sagt Thomas Schindler, Kurator der Sonderausstellung "Crazy Christmas". Das Bayerische Nationalmuseum in München zeigt die Schau von modernen Krippen des 20. und 21. Jahrhunderts noch bis Ende Januar.

Krippenfans aus aller Welt pilgern in das Museum am Englischen Garten, um die einmalige Sammlung von Krippen aus Süddeutschland bis Süditalien aus drei Jahrhunderten zu bestaunen. Im Jahr 2019 entdeckten Angestellte bei Routinearbeiten im Depot - gut verwahrt, aber am falschen Ort - Tafelmaiers Flower-Power-Krippe. Tatsächlich sei das bunte Pop-Art-Werk zur Jahreswende 1969/70 nur einmal im Haupthaus des BR gezeigt worden, sagt Oberkonservator Schindler. Danach verschwand es als Schenkung im Keller des Nationalmuseums - bis heute.

Der Fund gab für Schindler, der seit acht Jahren über die Krippenabteilung wacht, den Anstoß, sich an die experimentierfreudige Phase des Museums in den 1970er-Jahren zu erinnern. Damals sei infolge des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) eine Diskussion darüber entbrannt, wer entscheide, wie eine Krippe auszusehen habe: die Künstler oder die Laien? Denn das "Krippenwesen" war damals wie heute fest in der Hand der zahlreichen Laiengruppen, die sich ehrenamtlich um Jahres-, Passions- und Weihnachtskrippen in katholischen und auch evangelischen Kirchen kümmern. Ihrer meist traditionellen Darstellung der Geburtsgeschichte Jesu habe das Bayerische Nationalmuseum damals moderne Interpretationen zur Seite stellen wollen, erklärt der Volkskundler.

So beauftragte das Museum zwischen 1969 und 1977 drei Künstlerkrippen. Die erste schuf der Münchner Maler Rupert Stöckl, der mit seinen Bildern schon auf Biennalen und der Expo in Montreal vertreten war, als surrealistisches Arrangement. Er bemalte traditionelle Krippenfiguren silbern und versah sie mit kräftigen bunten Streifen. Die Heilige Familie sitzt vor der offenen Apparatur einer alten Kindernähmaschine, Elefant und Kamel tragen Uhrgehäuse; Zahnräder und silberner Metallplunder bestimmen die Szene. "Stöckl thematisiert damit die Taktung der Industriegesellschaft - die meisten Menschen wohnten schließlich 1970 nicht mehr auf dem Land", erläutert Schindler. Während das bibeltreue Fachpublikum aufjaulte, wurde die Stöckl-Krippe zum Besucher-Liebling: "Vor allem Kinder liebten sie, alles ist bunt und glitzert, sogar die Hirten und die Schafe tragen silberne Flügel."

Surrealismus mit viel Glitzer: die erste Auftragskrippe des Bayerischen Nationalmuseums, 1969 gestaltet von Rupert Stöckl.

Vermutlich schlug schon die nächste Auftragskrippe des Kunstprofessors Anton Hiller die Massen nicht mehr so in ihren Bann: Der Bildhauer wählte zehn Bronzeskulpturen aus und gruppierte sie so, dass sie als Krippenpersonal dienen konnten - vom Jesuskind bis zum Hirten. Die letzte Künstlerkrippe, 1977 vom amerikanischen Konzeptkünstler Edward Kienholz aus Müll und Schrott geschaffen, entfachte schließlich solch rüde Proteste bis hin zu Beschimpfungen und Drohungen, dass das Museum sein Experiment beerdigte und die Exponate im Depot verschwanden.

Die Sonderschau "Crazy Christmas" kombiniert nun die vier 70er-Jahre-Krippen mit noch neueren Deutungen: da sind die "Hampelmann"-Krippen des Oberammergauer Holzschnitzers Markus Wagner oder Rudi Bannwarths "Konsum-Krippe" von 2018. In ihr steht Josef als Bauarbeiter inmitten einer Hochhauskulisse - stimmig für Kurator Thomas Schindler: "Der Handwerker-Beruf, den Josef damals ausübte, entspricht dem heutigen Bauarbeiter."

Den aktuellsten Bezug wiederum hat die Corona-Krippe von Peter Sauerer: In vier postapokalyptischen Miniatur-Szenen verarbeitete der Geltendorfer Künstler seine Sorgen während der Pandemie. In jedem Bild lauert der "Grattler", ein Mensch mit Teufelskopf, das personifizierte Böse. Die Heiligen Drei Könige tragen Lidl-Tüte und Adidas-Tasche, Maria schützt sich mit Gasmaske vor den Viren, am Ende steht ein hoffnungsvoller Frühling.

Für Thomas Schindler sind die verrückten Krippen eine Einladung: "Wer Lust hat, auf die Suche zu gehen, der kann hier viel entdecken." Derzeit werde überlegt, die Bannwarth-Krippe in die Dauerausstellung zu integrieren. "Gerade junge Menschen können mit den barocken Inszenierungen oft nichts mehr anfangen", sagt Schindler. Zum Vermittlungsauftrag gehöre, die alten Exponate durch neue Formen zu ergänzen. Privat stellt der "Herr der Krippen" jeden Advent zwei Ensembles auf: Eine Papierkrippe in einer Streichholzschachtel und eine "Free-Style-Krippe", die sich von Jahr zu Jahr verändert. "Da hat auch mal ein Wookiee aus Star Wars seinen Platz", gibt Schindler zu. Denn zur Krippe gehört für ihn eine doppelte Freude: die Freude über die frohe Botschaft der Geburt Jesu - und der Spaß am Krippenbild, ganz ohne Zwang.