Trauerexperte: Bestattungspflicht ist längst überholt

Trauerexperte: Bestattungspflicht ist längst überholt
14.09.2023
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Autor und zertifizierte Trauerbegleiter Thomas Achenbach sieht die Bestattungspflicht in Deutschland angesichts eines Trends zu mehr Individualisierung in der Trauer skeptisch. „Wir sind in Deutschland, was Friedhöfe und Bestattungspflichten angeht, in ein starres, jahrhundertealtes Konzept eingebunden. Das ist nach meiner Auffassung längst überholt“, sagte Achenbach dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Tag des Friedhofs am 16. und 17. September.

Auch wenn Urnen in pflegeleichten Mauernischen, Friedwälder oder Sammelurnengräber beliebter würden, bräuchten die Hinterbliebenen dennoch einen Ort zum Trauern. Dieser sei aber eben oft nicht mehr das klassische Erdgrab auf dem Friedhof, sagte Achenbach. Viele Menschen richteten sich einen Trauerort zu Hause ein und würden die Urne mit der Asche am liebsten dort aufbewahren. Das ist in Deutschland jedoch nicht erlaubt.

Eine zunehmende Zahl von Menschen nutze Schlupflöcher, berichtete Achenbach. Sie ließen sich vom Bestatter die Urne aushändigen mit dem Hinweis, sie in die Schweiz oder die Niederlande zu überführen. Dort existiere kein Bestattungszwang. Ob sie tatsächlich die Reise dorthin anträten oder die Urne zu Hause im Wohnzimmer aufbewahrten, werde nicht kontrolliert. In Grenzregionen ließen viele auch den Leichnam in diese Länder überführen und nähmen die Urne nach der Verbrennung mit nach Hause.

Manche Bestatter nutzten rechtliche Grauzonen für die Wünsche der Hinterbliebenen. Sie füllten einen kleinen Teil der Asche in ein kleines Gefäß. Das könnten die Trauernden als Halskette tragen. „Der Trauerprozess ist ein so harter Prozess. Wenn wir da etwas schaffen können, was den Menschen guttut, ist das doch schön“, sagte der Experte.

Auch Friedhöfe können sich Achenbach zufolge diesen Entwicklungen öffnen und besondere Angebote machen. Auf Friedhöfen in Hamburg und Hannover gebe es eine Abteilung, in denen Menschen sich selbst einen Trauerort für einen Angehörigen schaffen könnten, der dort gar nicht begraben liege. „Wenn es Friedhöfen gelingt, sich solche und andere Nische zu erarbeiten, dann können sie auch weiterhin gut bestehen.“

Auch andere tradierte Rituale, die den Menschen Anleitungen zum Trauern geben könnten, seien längst nicht mehr allgemeiner gesellschaftlicher Konsens, betonte der Trauerbegleiter. Vielmehr gelte: „Es gibt kein Richtig und kein Falsch beim Trauern.“ Bestatter sollten sich als Berater und Lotsen im Trauerprozess verstehen. „Wenn die Regeln gar nicht mehr dem entsprechen, was gewünscht oder nötig ist, sollten sie überdacht werden.“