Beauftragter Klein: Mehr auf Betroffene von Antisemitismus hören

Beauftragter Klein: Mehr auf Betroffene von Antisemitismus hören
Antisemitismus grassiert laut Zentralratspräsident Josef Schuster "so offen wie schon lange nicht mehr". Die Forscherin Marina Chernivsky stellt fest: Viele Deutsche nehmen ihn aber nicht wahr. Der Beauftrage Felix Klein fordert mehr Sichtbarkeit.

Nürnberg (epd). Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert, sich in der Diskussion um Judenfeindlichkeit mehr in die Lage der Betroffenen hineinzuversetzen. Es werde oftmals gar nicht geglaubt, was Jüdinnen und Juden schilderten, sagte Klein am Freitag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Stattdessen hörten sie Aussagen wie „Juden sind so empfindlich“, „das kann ich gar nicht glauben“ oder „ich finde das gar nicht so schlimm“.

Deswegen müsse ähnlich wie bei einer Krankheit Antisemitismus diagnostiziert und sichtbar gemacht werden, betonte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Es gehe auch darum, klar zu machen, wie sich Antisemitismus im Alltag unterhalb der Strafbarkeitsgrenze äußere.

Antisemitismus gibt es laut der Psychologin Marina Chernivsky „nicht nur in der brachialen Form, nicht nur am radikalen Rand, sondern im Alltag, im Nahbereich“. „Gibt es noch eine Gewaltform, die so oft infrage gestellt wird?“, sagte die Leiterin des unter anderem zu Antisemitismus forschenden und beratenden Kompetenzzentrums Prävention und Empowerment. In ihrer Forschung sei der häufigste Satz: „Ich wusste nicht, dass es das gibt.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erläuterte, dass Antisemitismus in seinen verschiedensten Ausprägungen mittlerweile „so offen wie schon lange nicht mehr“ grassiere. Er entstehe aus einer diffusen Unzufriedenheit, kanalisiere diese und gebe Menschen eine Projektionsfläche für ihre Frustration. „Er ist ein süßes Gift, welches die Mehrheit von jeder Verantwortung freispricht, solange anderen alle Schuld aufgeladen werden kann“, betonte er.

Jüdische Kulturschaffende nähmen zurzeit eine zunehmende Ausgrenzung im Kulturbetrieb wahr, ergänzte Schuster. Ein Boykottaufruf, der sich faktisch gegen Juden richte, solle von niemanden toleriert werden, betonte er mit Blick auf die sogenannte BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions). „Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist absolut legitim“, sagte Schuster. Die schärfsten Kritiker seien vermutlich in Israel selbst. Doch die BDS-Bewegung suggeriere, dass durch die Zerstörung des Staates Israel alle Probleme gelöst werden könnten. Das sei keine Diskussionsgrundlage.

Schuster forderte jeden Einzelnen auf, sich auch im privaten Umfeld klar gegen Antisemitismus zu äußern. „Sagen Sie etwas, auch wenn es nicht immer angenehm ist“, mahnte er. Wer Antisemitismus ignoriere, trage zu dessen Bestehen bei.