Bruder Jakobus über die Kunst des Meditierens

Abtei Münsterschwarzach
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Die Abtei Münsterschwarzach ist ein Ort, an dem Gäste geistlich auftanken können. Der Benediktinermönch Bruder Jakobus Geiger OSB bietet meditative Gebetsübungen in einer Atmosphäre der Stille und des Schweigens an.
Wege in die Stille
Bruder Jakobus über die Kunst des Meditierens
Bruder Jakobus Geiger, Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, beschäftigt sich schon seit über 20 Jahren mit dem Thema Meditation. Günter Hänsel hat mit ihm über die Sehnsucht nach Stille und Praxis christlicher Kontemplation gesprochen.

Günter Hänsel: Lieber Bruder Jakobus, jedes Jahr besuchen sehr viele Menschen die Abtei Münsterschwarzach und kehren im Gästehaus ein. Wonach sehnen sich die Menschen?

Bruder Jakobus Geiger: Sehr viele Menschen sind auf der Suche nach religiöser oder spiritueller Orientierung. Andere haben in Münsterschwarzach einen Ort gefunden, an dem sie geistlich auftanken können. Das Kursprogramm greift in seinen Seminaren Fragen der Lebensorientierung, der benediktinischen Spiritualität auf. Es bietet aber auch Vertiefungen in den Glauben an in Form von Exerzitien- und Kontemplationskursen. Ein weiterer Programmpunkt möchte die Werteorientierung von Menschen in leitender Führungsverantwortung schulen. Viele Menschen kommen aber auch als Einzelgäste ohne Kursanbindung, um am Chorgebet der Mönche teilzunehmen und um in Einzelgesprächen mit einem Seelsorger in persönlichen Fragen Orientierung zu finden.

Im Gästehaus finden viele einen Ort der Stille. Wie wirkt diese Erfahrung?

Bruder Jakobus Geiger OSB, Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach.

Geiger: Das Heraustreten aus dem gewohnten beruflichen und familiären Umfeld, aus dem ständigen Funktionieren-Müssen, der medialen Berieselung ist eine große Hilfe, um zu sich selbst zu kommen und Raum und Zeit zu finden, um sich wieder mehr dem eigenen Innen und den Bedürfnissen der Seele zuzuwenden. Stille kann ein ganz wichtiger Aspekt sein, um zur Ruhe und Erholung zu finden, aber auch um dem nächsten anstehenden Lebensimpuls auf die Spur zu kommen, um auch wieder in Kontakt zu treten mit den nächtlichen Träumen und dem Unbewussten. Viele Menschen sind abgeschnitten von den tieferen inneren Ressourcen des Lebens durch eine Überaktivität und starke Verkopfung des Lebens.

Seit Jahrzehnten beschäftigten Sie sich mit christlicher Kontemplation und fernöstlicher Meditation. Wie sind Sie auf diese Praxis aufmerksam geworden?

Geiger: Ich hatte einen geistlichen Begleiter, der sowohl christliche Kontemplation als auch Zen lehrte. Dadurch bin ich mit diesen beiden bedeutenden geistlichen Traditionen in Berührung gekommen und habe mich in beiden einführen und schulen lassen. Es war für mich eine große Bereicherung die methodischen Parallelen aber auch die Tiefenerfahrungen dieser beiden Versenkungswege kennen zu lernen.

Was verstehen Sie unter christlicher Kontemplation?

Geiger: Christliche Kontemplation ist ein Versenkungsweg, der auf dem Hintergrund der christlichen religiösen Tradition methodisch in die eigene Glaubenserfahrung führen will. Dabei spielt in einem ersten methodischen Wegschritt der Atem, der mit einem Gebetswort verbunden wird, eine wichtige Rolle. Diese meditative Gebetsübung findet in einer Atmosphäre der Stille und des Schweigens statt. Dadurch melden sich dann aber auch psychische Themen, die vor Gott bereinigt werden wollen. Später gelangt der Übende in ein stilles gedanken- und vorstellungsfreies Verweilen vor und in Gottes Gegenwart. Der Kontemplierende versucht in einer großen Offenheit sich der göttlichen Gegenwart auszusetzen, so dass ER an ihm wirkt.

"Christliche Kontemplation ist ein Versenkungsweg, der auf dem Hintergrund der christlichen religiösen Tradition methodisch in die eigene Glaubenserfahrung führen will"

Die mystischen Quellen der Religionen sind miteinander verbunden. Was verbindet christliche Kontemplation und fernöstliche Mediation?

Geiger: Der Meditierende begegnet in der eigenen Tiefe immer den gleichen Erfahrungen. Diese Erfahrungen können aber in der Tiefe, Intensität, zeitlichen Dauer und der nachhaltigen Wirkung im Alltag variieren. Da diese Tiefenerfahrungen das Alltagsbewusstsein überschreiten, fehlen oft die Begriffe für diese Erlebenswelt, so dass viele Menschen, die solche Erfahrungen machen, sich schwer tun im Sprechen über das Erfahrene.

Die religiösen Traditionen bieten mit ihrer Bilderwelt und ihrem Glaubensgebäude Hilfen an, um diese Erfahrungen einzuordnen und zu verstehen. Die Begriffe und Benennungen dieser Tiefenerfahrungen sind in den verschiedenen religiösen Traditionen ganz verschieden. Im rein rationalen Vergleich dieser Begriffe kommt man nicht weiter. Man muss die Erfahrungen hinter den Begriffen kennen und verstehen, wie und warum sie gerade in den einzelnen spirituellen Traditionen in diesen Begriffen Ausdruck finden. Hier ist eine sehr große Herausforderung für den interreligiösen Dialog.

In Ihren Kursen beziehen Sie den ganzen Menschen, Körper, Seele, Geist, ein – warum ist das wichtig?

Geiger: Der Mensch ist eine Einheit. Das alte Modell, dass der Mensch aus Körper, Geist und Seele besteht, hilft uns bestimmte menschliche Erfahrungen besser einordnen zu können. In Wirklichkeit sind diese verschiedenen Aspekte mit einander verwoben und verschränkt. Der Atem ist zunächst etwas Körperliches, aber er ist auch ein wunderbarer Spiegel von Seele. Kleinste emotionalen Reaktionen finden im Atemgeschehen einen Niederschlag.

Wer tiefer in diesen kontemplativen Prozess einsteigt, wird irgendwann von ganz alleine mit der eigenen psychischen (seelischen) Wirklichkeit (Verletzungen, nicht angenommenen Charaktereigenschaften, nicht gelebten Lebensimpulsen usw.) konfrontiert. Diese Aspekte wollen dann angeschaut, angenommen und geheilt werden. Es geht in der Kontemplation nicht um Psychotherapie, aber dieser Meditationsweg hat auch einen psychoanalytischen Aspekt indem diese psychischen Themen in der stillen kontemplativen Übung von selbst ins Bewusstsein treten.

Im März ist Ihr Buch "Wege ins Schweigen – Impulse zur Kontemplation" erschienen. Sie schreiben darin: "Überall dort, wo der Mensch nicht in Balance seine verschiedenen Lebensimpulse seiner eigenen Polarität lebt, gerät er aus dem Lot. Es entsteht das Gefühl von Mangel, von Hunger, es plagt ihn die Sehnsucht nach Ganzheit, nach Heil. Diesen Hunger können wir in den verschiedensten Suchbewegungen der modernen Menschen beobachten." Findet diese Sehnsucht Gehör?

Geiger: Ob die Menschen in Ihrem Hunger durch die verschiedensten Angebote Nahrung finden, bleibt meines Erachtens offen. Das hängt von der Art des Lebensimpulses ab und auch wo der Mensch dann eine Antwort auf sein Gefühl des Mangels sucht. Was den spirituellen Hunger angeht, so versuchen viele im Konsum Nahrung zu finden, zumal manche Werbung Glück und Erfüllung verspricht. Andere sind im Supermarkt der Esoterik unterwegs. Dort gibt es manch Gutes, aber auch viel Flaches, das letztlich nicht nährt und weiterführt oder in einer Sackgasse endet. Mein Grundsatz ist: Tun Sie das, was ihre Seele wirklich nährt. Kontemplation kann da den menschlichen Hunger in seiner ganzen Polarität klar zum Vorschein kommen und bewusstwerden lassen. Dann kann in der Einzelbegleitung Hilfestellung gegeben werden im inneren Umgang mit dem Gefühl der Sehnsucht und der eventuell anstehenden Lebensveränderung.

Sie sind auch gelernter Töpfer und leben aus der Stille. Entstehen die Werke noch einmal anders, wenn sie aus der Stille geformt werden?

Geiger: Ich denke ja. Stille und Schweigen führt in die eigene Tiefe. Lebt jemand aus dieser eigenen inneren Stille und Tiefe, so wird sich dies in den Formen und der Ausstrahlung der Gefäße widerspiegeln. Gefäße soweit sie frei gestaltet sind, sind immer auch Spiegel der Seele des Töpfers. Jeder handwerklich gefertigte Gegenstand hat nicht nur einen Gebrauchswert, sondern sagt auch etwas aus über den Handwerker, der ihn geschaffen hat. Ein geschultes Auge nimmt im Gefäß etwas von der Persönlichkeit und der Seele des Töpfers wahr.

"Stille und Schweigen führt in die eigene Tiefe. Lebt jemand aus dieser eigenen inneren Stille und Tiefe, so wird sich dies in den Formen und der Ausstrahlung der Gefäße widerspiegeln"

Welche Impulse kann die christliche Kontemplation für das kreative und handwerkliche Schaffen geben?

Geiger: Die Kontemplation lässt den Menschen mit der eigenen inneren Tiefe in Kontakt kommen. Dort sind auch die kreativen und intuitiven Impulse des Menschen verortet. Wenn jemand aus dieser seelischen Dimension arbeitet, so sprechen seine handwerklichen Erzeugnisse den Kunden ganz anders an, als die gewohnte Fabrik- und Massenware der Kaufhäuser. Es entsteht eine innere Resonanz zwischen der seelischen "Ladung" des handwirklichen Gegenstandes und dem Betrachter/Kunden.

Viel wird über die Zukunft der Kirchen gesprochen. Welche Perspektiven liegen in der christlichen Kontemplation bereit?

Geiger: Die christliche Kontemplation kann den Menschen für tiefere religiösen Erfahrungen öffnen. In der Zukunft wird Religion vermutlich dort blühen, wo Menschen diese seelischen Dimensionen nicht nur für wahr halten, sondern erleben und erfahren. Karl Rahner soll einmal gesagt haben, der Christ der Zukunft wird ein Mystiker (einer, der etwas erlebt hat) sein, oder er wird nicht mehr sein. Darin liegt meines Erachtens die große Chance dieses meditativen Erfahrungsweges. Mystik als ein Aspekt der Erfahrung von göttlicher Wirklichkeit wie sie dem menschlichen Bewusstsein zukommen kann. Normalerweise werden diese Erfahrungen noch ohne dogmatische Festlegung oder sprachliche Verdeutlichung und damit ohne konfessionelle Ab- oder Ausgrenzung ausgedrückt.