Ein kantiger Idealist: Menschenrechtler Zülch mit 83 Jahren gestorben

Ein kantiger Idealist: Menschenrechtler Zülch mit 83 Jahren gestorben
Vor über 50 Jahren gründete Timann Zülch die Gesellschaft für bedrohte Völker und machte sie mit spektakulären Aktionen zu einer bedeutenden Menschenrechtsorganisation. Sein Führungsstil war dabei umstritten. Nun ist Zülch mit 83 Jahren gestorben.
19.03.2023
epd
Von Reimar Paul (epd)

Göttingen (epd). Der Gründer und Vorstand der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch, ist tot. Wie die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Göttingen am Samstag mitteilte, starb er am Freitag im Alter von 83 Jahren. „Tilman Zülch war ein Visionär der Menschenrechtsarbeit“, heißt es in einem Nachruf der GfBV. Sein Blick auf das Schicksal von ethnischen und religiösen Minderheiten sowie indigenen Völkern, sein selbstloses Engagement gegen Völkermord und Vertreibung stünden heute beispielhaft für internationale Menschenrechtsarbeit.

Zülch wurde 1939 in Deutsch-Liebau (Libina) im Sudetenland geboren. Als Jugendlicher engagierte er sich in der Bündischen Jugend, als Politik- und Volkswirtschaftsstudent in Hamburg im Sozialdemokratischen Hochschulbund. Zu jener Zeit tobte in Ostnigeria, das sich als Republik Biafra für unabhängig erklärt hatte, ein blutiger Bürgerkrieg. Hunderttausende Menschen starben durch Bomben, an Hunger und Krankheiten. Weil Großbritannien das nigerianische Militär mit Waffen belieferte, besetzten Ende Juni 1968 Mitglieder des Komitees „Aktion Biafra Hilfe“ das britische Generalkonsulat in Hamburg. Einer der Aktivisten war Tilman Zülch.

Er baut das Biafra-Komitee bis 1970 zur Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aus: einer Organisation mit dem Anspruch, weltweit Menschenrechte von ethnischen und religiösen Minderheitengruppen zu schützen und durchzusetzen. Unterstützt von einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer, blieb Zülch zehn Jahre lang der einzige Vollzeit-Aktivist.

Mit Zülch an der Spitze und teilweise spektakulären Aktionen schafften es die Menschenrechtler immer wieder in die Schlagzeilen. 1988 deckten sie die Mitverantwortung deutscher Firmen beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten Kolumbus-Jahr, überqueren zwei Aktivisten den Atlantik mit einem Bambusfloß, um den südamerikanischen Indianern eine Versöhnungsbotschaft zu überbringen. Unter dem Motto „Auf keinem Auge blind“ setzt sich die Menschenrechtsorganisation für Völkermordopfer im Sudan und muslimische Uiguren in China, für bedrängte Christen in Pakistan und für Kurden in der Türkei ein.

Doch es gab auch Kritik. Als die GfbV Indigene aus Nicaragua nach Europa einlud, die gemeinsam mit rechtsgerichteten „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront FSLN bekämpften, protestierten Dritte-Welt-Gruppen. Im Jugoslawienkrieg bemängelten Friedensinitiativen ein einseitiges und polarisierendes Engagement der Gesellschaft für bedrohte Völker - frühzeitig habe sie die Serben als Alleinschuldige gebrandmarkt und Militärschläge der Nato zugunsten der bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner gefordert.

Und auch Zülch selbst war nicht unumstritten. Intern beklagten Mitarbeiter und ehrenamtliche Vorstandsmitglieder gelegentlich ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 gipfelt ein Streit über angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu Unrecht bezogene Gehälter in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen. Im Frühjahr 2017 gab Zülch die Leitung der GfbV an den Afrika- und Asienexperten der Organisation, Ulrich Delius, ab.

Für sein Engagement erhielt Zülch 16 Preise und Auszeichnungen, darunter den Göttinger Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma sowie das Bundesverdienstkreuz.