Leiharbeit in Pflegeberufen: Debatte mit umgekehrten Vorzeichen

Leiharbeit in Pflegeberufen: Debatte mit umgekehrten Vorzeichen
Die Pflegebranche diskutiert über Leiharbeit, doch die Fronten verlaufen anders als gewohnt. Hier suchen Arbeitnehmer in der Leiharbeit bessere Arbeitsbedingungen, während Arbeitgeber sie ablehnen und ihre Eindämmung fordern.
09.12.2022
epd
Von Niklas Hlawitschka (epd)

Frankfurt a.M. (epd). In den Pflegeberufen wird mit umgekehrten Vorzeichen über Leiharbeit diskutiert: Arbeitgeber fordern ihre sofortige Begrenzung, Gewerkschaften loben hingegen die relativ attraktiven Arbeitsbedingungen der Leiharbeit. „Im Bereich der Pflege stehen die Dinge auf dem Kopf“, sagte Matthias Gruß vom ver.di-Fachbereich Altenpflege dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind zwei Prozent der Pflegekräfte als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter beschäftigt.

In vielen Branchen greifen Arbeitgeber auf Leiharbeit zurück, um die Betriebskosten zu reduzieren. Laut ver.di sind es in der Pflege aber oft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das indirekte Beschäftigungsmodell bevorzugen. Teilweise bieten Leiharbeitsfirmen den Pflegekräften demnach eine bessere Bezahlung. Zudem seien die Arbeitszeiten in der Leiharbeit für die Beschäftigten besser planbar und verbindlicher: Anbieter werben damit, dass Leiharbeiter klare Arbeitszeit-Vorlieben angeben können - beispielsweise dass sie nicht für Wochenend- oder Nachtschichten zu Verfügung stehen.

Außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten haben die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dann keinen direkten Zugriff auf die Arbeitnehmer. Sie können sie also bei Personalengpässen nicht für kurzfristige Vertretungen oder Überschichten einsetzen. Genau das mache die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeit für Pflegekräfte attraktiv, erklärt ver.di.

Einigkeit zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden herrscht darüber, dass die Leiharbeit eine Belastung sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Stammbelegschaft ist. Ver.di warnt vor einer Spaltung der Belegschaft. Leiharbeit gehe häufig zu Lasten des Stammpersonals, das dadurch in noch unattraktivere Arbeitszeiten gedrängt werde und ständig neues Personal einarbeiten müsse.

Ein Verbot der Leiharbeit unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen in der Pflege lehnt ver.di aber ab. Die Verantwortung sieht die Gewerkschaft bei den Arbeitgebern: Diese müssten es durch verbindliche Dienstpläne und tarifvertragliche Bezahlung erreichen, „Pflegepersonen zu halten und neue zu gewinnen“, sagte Gruß dem epd.

Arbeitgeber der Branche sehen die Leiharbeit kritisch. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) setzt sich dafür ein, „den Anteil an Leiharbeitskräften in der Pflege nachhaltig zu reduzieren“, wie er dem epd mitteilte. Der Hamburger bpa-Landesvorsitzende Frank Wagner kritisiert, Zeitarbeitsunternehmen würden aktiv Stammpersonal aus den Einrichtungen abwerben, „um sie dann wieder zurück zu vermieten“. Laut bpa sind Leiharbeiter für die Arbeitgeber deutlich teurer. Dies habe 2019 eine Umfrage des Verbandes unter seinen Mitgliedern ergeben.

Der Geschäftsführer der Sozial Holding Mönchengladbach, Helmut Wallrafen, forderte Ende November in einem Offenen Brief die Begrenzung der Leiharbeit in der Altenpflege. Er beklagt „Unzuverlässigkeit, schlechte Pflege und Unruhe in den Pflegeteams des Stammpersonals“. Die Belange der pflegebedürftigen Menschen fänden nicht genug Beachtung. Eine Eindämmung sei „überfällig“, heißt es in dem an Politik, Pflegekassen und Medien adressierten Brief.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hält Forderungen nach sofortiger Begrenzung der Leiharbeit für kurzsichtig. Die Einrichtungen könnten derzeit nicht auf Leiharbeiterinnen verzichten. Auch der DBfK räumt ein, dass Arbeitnehmer in der Leiharbeit teils besser bezahlt werden als im direkten Beschäftigungsverhältnis.