Behinderte fühlen sich bei der Bahn als "lästiger Beförderungsfall"

Behinderte fühlen sich bei der Bahn als "lästiger Beförderungsfall"
10.11.2022
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover (epd). Der niedersächsische Neu-Landtagsabgeordnete Constantin Grosch (SPD) hat die Deutsche Bahn für ihren Umgang mit Menschen mit Behinderung kritisiert. Seinen Gesamteindruck beschrieb der im Rollstuhl sitzende SPD-Politiker so: „Ich fühle mich selten als umworbener Kunde, sondern vielmehr als lästiger Beförderungsfall.“ Beispielsweise dürfte er als Mitglied des niedersächsischen Landtages eigentlich erster Klasse reisen. Praktisch könne er das aber nicht, weil die Bahn Rollstuhlfahrern in der ersten Klasse keinen Platz einräume, sagte Grosch in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Da die Bahn nach wie vor findet, dass Behinderte in niedrige Klassen gehören, werde ich also der einzige niedersächsische Abgeordnete sein, dem dieses Privileg nicht zuteil wird“, schrieb Grosch auf Twitter. Es gehe ihm nicht darum, unbedingt erster Klasse zu reisen, sondern um die Alltagsdiskriminierung behinderter Menschen, sagte er dem epd. Allein Rollstuhlfahrer hätten nicht die Wahl, ob sie die Annehmlichkeiten der ersten Klasse in Anspruch nehmen möchten. Sie müssten sich gezwungenermaßen in der zweiten Klasse ihren Platz suchen.

Zudem sei auch das nicht immer einfach und ohne Hindernisse zu bewerkstelligen, bemängelte der SPD-Politiker aus Hameln. In der Regel hätten die Züge Plätze für Rollstuhlfahrer nur in einem Waggon. Falle in diesem die Toilette aus, sei eine Mitfahrt nicht möglich. Ein online-Ticket könne er nicht buchen, schon gar nicht von jetzt auf gleich. Er müsse eine Fahrt mehrere Tage, besser noch ein oder zwei Wochen vorher anmelden. Seien die maximal zwei bis drei Plätze für Rollstuhlfahrer etwa in einem ICE bereits ausgebucht, müsse er einen anderen Zug wählen. Im Nahverkehr müsse er meist den Fahrradwaggon nutzen.

Zwar verfügten die meisten Bahnhöfe mittlerweile über Aufzüge und seien barrierefrei. Beim Service der Deutschen Bahn für Behinderte sieht Grosch jedoch noch erheblichen Nachholbedarf: „Da hat sich in den vergangenen Jahren nichts getan.“

Habe er einen Zug gebucht, müssten ihm Mitarbeitende der Bahn mit einem speziellen Hubwagen vom Bahnsteig in den Zug helfen. Auch die neueste Generation der ICE habe noch immer eine Stufe beim Einstieg. Die neuen ICE hätten zwar einen bei der Vorstellung hochgelobten Lift im Zug. Dessen Bedienung habe sich aber als zu umständlich erwiesen, sodass er nicht mehr genutzt werde. An manchen Bahnhöfen sei ein Ein- und Ausstieg nur zwischen 8 und 20 Uhr möglich. „Da heißt es dann: Wir können Sie leider nicht mitnehmen, weil wir Sie am Ziel gar nicht mehr aus dem Zug herausbekommen.“

Erst in frühestens zwei Jahren werde ein derzeit noch im Bau befindlicher ICE barrierefrei zugänglich sein - zunächst aber lediglich auf der Strecke Amsterdam-Berlin. „Die Schweiz hat schon seit 15 Jahren Züge ohne Stufe. Da frage ich mich, warum das bei uns nicht funktioniert. Ich ärgere mich über die Fahrzeugbeschaffung der Deutschen Bahn.“ Dabei mag Grosch eigentlich das System Bahn, wie er sagt: „Ich finde es großartig und nutze es für Fernfahrten immer. Deshalb kenne ich die Mängel auch so gut.“