München (epd). Der Aufsichtsrat der Diakonie München hat offenbar über Jahre einen wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung angeklagten Vorsitzenden geduldet. Ein Sprecher des Aufsichtsrats sagte am Mittwoch auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), der inzwischen zurückgetretene Vorsitzende habe das Gremium im Jahr 2018 selbst darüber in Kenntnis gesetzt, dass vor dem Landgericht Wiesbaden Anklage gegen ihn erhoben worden sei. Dabei geht es nach epd-Informationen um eine Anklage im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften.
Bei einer außerordentlichen Sitzung im Juni 2019 hätten die Mitglieder dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Diakonie München und Oberbayern ihr Vertrauen ausgesprochen, sagte der Sprecher weiter. Für das Gremium hätten damals das Kriterium der Unschuldsvermutung und der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ den Ausschlag gegeben.
Wie aus einem behördlichen Dokument, das dem epd vorliegt, hervorgeht, ist der frühere Aufsichtsratschef einer von zwei Angeklagten im Cum-Ex-Prozess, der seit dem Frühjahr 2021 vor dem Landgericht Wiesbaden verhandelt wird. Die Anklage lautet den Angaben zufolge auf gemeinschaftliche schwere Steuerhinterziehung. Insgesamt, so der Vorwurf, sollen die Angeklagten zusammen mit drei weiteren Personen in den Jahren 2006 bis 2008 den Fiskus um rund 113 Millionen Euro geprellt haben.
Die Urteilsverkündung ist laut einer Gerichtssprecherin für den 21. Oktober angesetzt. Bis zur Rechtskraft des Urteils gilt die Unschuldsvermutung. Für eine Stellungnahme war der Ex-Aufsichtsratschef nicht erreichbar.
„Cum-Ex“ sind Wertpapiergeschäfte, bei denen sich die Beteiligten eine Kapitalertragssteuer, die sie gar nicht bezahlt haben, vom Finanzamt erstatten lassen. Der Gesetzgeber hat diese Praxis 2007 unterbunden.
Die Diakonie München ist ein gemeinnütziges Sozialunternehmen, dessen Angebote - von der Obdachlosenarbeit über Migrationsberatung bis zum Altenheim - von der öffentlichen Hand refinanziert werden. Die bayerische evangelische Landeskirche und die Diakonie Bayern erklärten auf epd-Anfrage, dass man „erst in jüngster Zeit Gerüchte zur Kenntnis genommen“ habe, „wonach der Aufsichtsratsvorsitzende der Diakonie München und Oberbayern in einem Gerichtsverfahren angeklagt sein soll“. Man sei „grundsätzlich der Meinung, dass Inhaber eines hervorgehobenen Ehrenamtes im Fall einer Anklage dieses Ehrenamt ruhen lassen sollten, bis die Anschuldigungen gerichtlich geklärt sind“, so die beiden Sprecher.