Mediziner rät: Mit Demenzkranken singen und viel Musik hören

Mediziner rät: Mit Demenzkranken singen und viel Musik hören
15.09.2022
epd
epd-Gespräch: Michael Grau

Hannover (epd). Der Musikmediziner Eckart Altenmüller rät pflegenden Angehörigen und Pflegekräften in Heimen, mit demenzkranken Menschen viel zu singen und Musik zu hören. „Bevorzugt die Lieder, die sie gut kennen aus ihrer jüngeren Erwachsenenzeit“, sagte der Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des Weltalzheimertages am 21. September. Denn die Melodien der Jugend, meist Popsongs oder Schlager, seien im emotionalen Gedächtnis besonders tief verankert. Diese Erinnerungen ließen sich auch nach langer Zeit wieder wecken.

„Es kann sein, dass die Patienten alle möglichen Sachen vergessen, dass sie ihre Kinder und Enkelkinder nicht mehr wiedererkennen und die Namen nicht behalten“, sagte der Neurologe, der das Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover leitet. „Aber an die Melodien erinnern sie sich wieder.“ Die dafür verantwortlichen Zentren lägen tief im Gehirn im sogenannten limbischen System. „Die sind erfreulicherweise durch die Abbauprozesse bei Demenz-Krankheiten nicht so stark betroffen.“

Die Wechselwirkungen von Musik und Demenz hat Altenmüller gemeinsam mit seinem Team vor einigen Jahren in einer Studie erforscht. Dabei fand er heraus, dass Wachkoma-Patienten auf einer unbewussten Ebene auf Musik reagierten. Dieses Ergebnis glich das Team dann mit Studien zur Demenz ab. „Da kommt eindeutig heraus, dass Demenzkranke durch musikalische Stimulation aktiviert werden, wenn sie die Musik hören, die für sie früher bedeutend war. Und wenn man ihnen dann ein Fotoalbum zeigt, können sie auch die Namen wieder benennen aus dieser Zeit.“

Die Musik der Jugend präge sich deshalb besonders tief ein, weil sich in diesem Alter die Persönlichkeit konstituiere, erläuterte Altenmüller. „Musik ist dabei ein wichtiger Teil der Identität.“ Außerdem erlebten Menschen in dieser Zeit viele Ereignisse, zu denen Musik gehöre, zum ersten Mal - wie den ersten Tanz oder bestimmte Feiern.

Gegenüber rein instrumentaler Musik wirkten Schlager oder Popsongs aufgrund der Texte noch stärker auf das Gedächtnis ein. Durch die sprachlichen Bilder werde eine eigene Vorstellungswelt geschaffen, die zur Wirkung von Rhythmus und Klang hinzukomme. Ein gutes Beispiel dafür sei der Song „We are the Champions“ der Rockband „Queen“, der mit sportlichen Erfolgen verknüpft sei. In Deutschland gibt es gegenwärtig rund 1,8 Millionen Demenzkranke.