Kavala-Urteil: Türkei missachtet Menschenrechtsgerichtshof

Kavala-Urteil: Türkei missachtet Menschenrechtsgerichtshof

Straßburg (epd). Im Streit um die Inhaftierung des türkischen Verlegers und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala verletzt die Türkei nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) fortlaufend ihre vertraglichen Verpflichtungen zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Türkei missachte ein früheres verbindliches Urteil des EGMR, welches die Freilassung des seit 18. Oktober 2017 inhaftierten Kavala anordnete, entschied am Montag die Große Kammer des Gerichtshofs in Straßburg. (AZ: 28749/18)

Kavala hat in der Vergangenheit zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in der Türkei gegründet, die in den Bereichen Menschenrechte, Kultur oder auch dem Umweltschutz arbeiteten. Als im Mai 2013 in Istanbul Proteste wegen des Abrisses des Gezi-Parks mit Toten und Tausenden Verletzten eskalierten, machten die türkischen Behörden den regierungskritischen Kavala für die Ausschreitungen mitverantwortlich. Dieser habe die Demonstrationen geleitet und organisiert. Auch eine Unterstützung des niedergeschlagenen Militärputsches gegen die türkische Regierung im Juli 2016 wurde Kavala unterstellt. Kavala befindet sich seit dem 18. Oktober 2017 in Haft.

Der EGMR urteilte am 10. Dezember 2019, dass es keine Belege für ein strafbares Verhalten Kavalas gebe. Die Untersuchungshaft habe nur den Zweck, Menschenrechtsaktivisten mundtot zu machen und abzuschrecken. Die Freilassung Kavalas müsse sichergestellt werden. Im Februar 2020 wurde Kavala zwar von den Vorwürfen um den Gezi-Park von einem türkischen Gericht freigesprochen. Die Freilassung gegen Kaution scheiterte aber an neuen Vorwürfen. Nun wurde Kavala wegen Spionage inhaftiert.

Das Ministerkomitee des Europarates sah in der andauernden Haft eine Missachtung des EGMR-Urteils von 2019 und legte den Streit der Großen Kammer des EGMR vor. Diese urteilte, dass die Türkei ihre vertraglichen Pflichten zur Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt habe. Die türkische Staatsanwaltschaft habe zwar einen neuen Tatvorwurf gegen Kavala geltend gemacht. Dieser stütze sich aber im Wesentlichen auf identische Tatsachen, die sich bereits im früheren Verfahren als unhaltbar erwiesen hätten, so die Antwort des EGMR auf das vom Ministerkomitee angestrengte Vertragsverletzungsverfahren. Die angefallenen Verfahrenskosten in Höhe von 7.500 Euro muss die türkische Regierung zahlen.

Julia Hall, stellvertretende Direktorin für Forschung im Europabüro von Amnesty International hält das Urteil für eine „Schande der türkischen Regierung“. „Kavalas Fall ist sinnbildlich für die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und den Abbau des Menschenrechtsschutzes, der jeden in der Türkei betrifft“, sagte Hall.