"Wir müssen diese Pandemie beenden"

"Wir müssen diese Pandemie beenden"
Missbrauchsbetroffene stellen Forderungen an G7-Staaten
Von einer "stillen Pandemie" haben Betroffene sexuellen Missbrauchs am Freitag in München gesprochen. Sie fordern die G7-Staaten vor ihrem Gipfel zum Handeln auf. Denn noch immer sei sexuelle Gewalt grausame Realität für viele Kinder weltweit.

München (epd). Missbrauchsopfer in aller Welt fordern die G7-Staaten zum entschiedenen Handeln gegen sexuelle Gewalt an Kindern auf. Fast 93 Millionen Erwachsene in den G7-Ländern seien als Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden, sagte der US-Amerikaner Paul Zeitz, der das internationale Netzwerk „Brave Movement. End Childhood Sexual Violence“ mitgegründet hat, am Freitag im Münchner Presseclub. Dies seien mehr als Deutschland Einwohner habe.

Der Brite Patrick Sandford sagte, dass in seinem Land eines von fünf Mädchen und einer von zehn Jungen sexuelle Gewalt erlebe. Er gehe aber von einer höheren Dunkelziffer aus. „Wir müssen diese Pandemie beenden“, forderte er. Mehr Kinder seien von sexuellen Missbrauch betroffen als von einer Covid-Erkrankung. Er sprach auch die langfristigen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft an: Viele litten an chronischen Erkrankungen, verübten Suizid oder rutschten in die Arbeitslosigkeit oder Kriminalität ab.

Die staatliche Bekämpfung von sexuellem Missbrauch an Kindern sei jedenfalls nicht ausreichend, sagte Zeitz weiter. Nur Deutschland habe von den G7-Staaten bisher ein nationales Gremium zu dem Thema eingerichtet. Im Dezember 2019 wurde der „Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ eingerichtet, deren Vorsitz beim Bundesfamilienministerium und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs von Kindern liegt.

Wibke Müller, Betroffene aus Deutschland und Mitgründerin von „Brave Movement“, forderte die G7-Staaten auf, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Sie seien die reichsten Länder der Erde und hätten daher eine besondere Verantwortung. Es brauche unter anderem ein sicheres Internet, um Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen. Außerdem müssten die Verjährungsfristen für Taten sexuellen Missbrauchs abgeschafft und nationale Betroffenenbeiräte eingerichtet werden.

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ und ebenfalls Mitgründer von „Brave Movement“, sagte, sexuelle Gewalt sei kein Phänomen der Vergangenheit, sondern nach wie vor eine grausame Realität für viele Kinder und Jugendliche. Er rief den Bundeskanzler zu mehr Einsatz im Kampf gegen Kindesmissbrauch auf: „Olaf Scholz, bitte trau dich!“ Peter Sandford betonte, die Betroffenen stellten die Forderungen nicht für sich selbst auf, sondern für „eure Kinder und Enkelkinder“.

Durch das im Januar veröffentlichte Missbrauchsgutachten sei klar, dass auch die Erzdiözese München und Freising ein Ort der Gewalt sei, sagte Katsch vom „Eckigen Tisch“ weiter. Im Anschluss an die Pressekonferenz wurde daher an der Münchner Peterskirche eine Gedenktafel enthüllt, um an sexuelle Gewalt an Kindern durch die katholische Kirche zu erinnern. Das Gutachten lieferte Hinweise auf mindestens 497 Betroffene und 235 Täter, davon 173 Priester, in der Zeit zwischen 1945 und 2019.

Vom 26. bis 28. Juni treffen sich auf dem oberbayerischen Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten zu ihrem Gipfel. Laut „Brave Movement“ soll das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder Teil der Beratungen werden. Das Netzwerk will auch während des G7-Gipfels mit mehreren Aktionen auf seine Anliegen aufmerksam machen.