Berlin (epd). Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, will den Schutz von Menschen mit Behinderung vor Gewalt und Missbrauch verbessern. „Das Thema muss stärker in der Öffentlichkeit diskutiert werden“, sagte er am Donnerstag in Berlin als Reaktion auf eine Dokumentation der Internetplattform AbilityWatch zu Gewaltfällen. Seit 2010 wurden demnach bundesweit 36 Fälle mit 91 Betroffenen in 33 vollstationären Behindertenheimen registriert. Die Daten hat das journalistische Rechercheprojekt #AbleismusTötet zusammengetragen.
Britta Schlegel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, sagte: „Jegliche Form von Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen ist grund- und menschenrechtlich verboten und nicht zu tolerieren.“ In Wohneinrichtungen und Werkstätten erlebten Menschen mit Behinderungen jedoch häufig Gewalt, darunter sexualisierte Gewalt, psychischen Druck und unrechtmäßige freiheitsentziehende Maßnahmen.
Die Veröffentlichung von AbilityWatch zeige diese Probleme auf erschreckende Weise auf, so Schlegel. Politik und Behindertenhilfe müssten dringend handeln. „Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt zudem vor, dass Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, in denen gewaltfördernde Strukturen bestehen, schrittweise abgebaut werden müssen.“
Dusel betonte, dass es noch große Lücken und Probleme bei diesem Thema gebe. „Deshalb fordere ich den Bund auf, bestehende Gesetze nachzubessern. Aber auch die Länder, die Leistungsträger und die Leistungserbringer sind in der Pflicht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, sagte er.
In Deutschland leben den Angaben nach derzeit rund 200.000 erwachsene Menschen mit Behinderungen in Wohneinrichtungen. Rund 330.000 Menschen sind in Werkstätten beschäftigt. Mitte Mai wollen Schlegel und Dusel konkrete Handlungsempfehlungen zum Gewaltschutz in Einrichtungen der Behindertenhilfe vorstellen.
Auf der Homepage #AbleismusTötet heißt es: „Gewalt für behinderte Menschen ist ein stetiger Begleiter.“ Jeden Tag und auf der ganzen Welt würden Gewalttaten an Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit heruntergespielt und als Einzelfälle verharmlost, um keine Konsequenzen daraus ziehen zu müssen.
„Alleine im Jahr 2019 wurden 238 Straftaten im Kontext von behinderten Menschen in Wohneinrichtungen angezeigt. Die Zahl steigt seit mehreren Jahren. Die Dunkelziffer in solch einem sensiblen Bereich dürfte auch noch deutlich über den verfolgten Straftaten liegen“, hieß es. Deshalb müsse das System der vollstationären Wohneinrichtungen für behinderte Menschen kurzfristig stark verbessert und langfristig abgeschafft werden.