Sachsenhausen-Prozess gegen KZ-Wachmann wird erneut verlängert

Sachsenhausen-Prozess gegen KZ-Wachmann wird erneut verlängert
Mehr als 200.000 Menschen waren zwischen 1936 und 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Zehntausende wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben. Im Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann werden nun frühere SS-Leute als Zeugen geladen.

Brandenburg an der Havel (epd). Der NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen in Brandenburg wird erneut verlängert. Auf Antrag der Verteidigung des 101-jährigen Angeklagten Josef S. sollen nun mehrere ebenfalls hochbetagte ehemalige SS-Wachmänner des Konzentrationslagers als zusätzliche Zeugen geladen werden. Das Landgericht Neuruppin stimmte dem Antrag am Freitag, dem 30. Verhandlungstag, am Verhandlungsort Brandenburg an der Havel zu. Es sei nicht von vorneherein aussichtslos, von solchen Zeugen Informationen zu erhalten, wenn sie diese geben wollen, sagte der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann. (Az.: 11 Ks 4/21)

Die früheren Wachmänner sollen zur gleichen Zeit wie der Angeklagte in Sachsenhausen im Einsatz gewesen sein. Verteidiger Stefan Waterkamp hatte am Vortag Aussagen angekündigt, dass ihnen Josef S. unbekannt sei. Sie sollen auf Beschluss des Gerichts für den nächsten Verhandlungstag am 7. April geladen werden. Nebenklageanwalt Thomas Walther, der in dem Verfahren auch mehrere Überlebende des KZ Sachsenhausen vertritt, bezweifelte, dass die früheren SS-Männer vor Gericht als Zeugen vernommen werden können. Er rechne damit, dass sie von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen, um sich nicht selbst zu belasten, sagte er nach der Verhandlung.

Er „hege eine gewisse Sympathie“ für den Antrag, sagte Walther in seiner Stellungnahme zu dem Antrag der Verteidigung und betonte später, er halte die Vernehmung der SS-Männer „absolut nicht für einen Störfaktor auf dem Weg der Suche nach Gerechtigkeit“. Ziel des Prozesses sei, mit dem „höchsten Niveau an Rechtsstaatlichkeit“ aufzuklären, was aufgeklärt werden könne, und ein gerechtes Urteil zu finden, sagte der frühere Chefermittler der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Eine Vernehmung der früheren SS-Wachleute könnte auch zu Ungunsten des Angeklagten ausgehen, falls sie sich an ihn erinnern, sagte Walther. Unabhängig von ihren möglichen Zeugenaussagen seien zudem alle weiteren Beweismittel weiter relevant.

Vor der Verlängerung der Beweisaufnahme hatte Staatsanwalt Cyrill Klement am Freitag beantragt, den Antrag der Verteidigung abzuweisen. Der Beweisantrag sei „im entscheidenden Punkt ins Blaue hinein“ gestellt worden, sagte Klement. Einer der fünf benannten Zeugen sei bereits nachweislich tot. Die Verteidigung habe offenbar keine Informationen darüber eingeholt, ob die von ihr benannten Zeugen noch leben und vernehmungsfähig sind. Zudem handle es sich um den Versuch, „Negativ-Tatsachen“ festzustellen, mit denen nicht zwingend bewiesen werden könne, dass der Angeklagte nicht in Sachsenhausen eingesetzt gewesen sei.

Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3.500 Fällen vor. Den Ermittlungen zufolge war er in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 SS-Wachmann in Sachsenhausen. Der in Litauen geborene Baltendeutsche, der nach dem Krieg in der DDR lebte, bestreitet dies bislang und will in der fraglichen Zeit an einem anderen Ort in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Das Gericht kündigte am Freitag weitere Verhandlungstermine im Mai an. Bislang war mit einem Urteil Ende April gerechnet worden.