Verteidigung im Högel-Prozess zweifelt Morde an

Verteidigung im Högel-Prozess zweifelt Morde an
Die Anwälte der ehemaligen Chefs von Niels Högel bezweifeln, dass der Patientenmörder wirklich alle ihm zur Last gelegten Taten begangen hat. Sie decken Unstimmigkeiten auf und fragen nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen.

Oldenburg (epd). Widersprüche und Irritationen haben den fünften Verhandlungstag im Prozess gegen sieben frühere Vorgesetzte des Patientenmörders Niels Högel geprägt. In zwei Fällen stellten die insgesamt 18 Verteidiger am Mittwoch vor dem Oldenburger Landgericht infrage, ob der Zeuge Högel überhaupt für die ihm zur Last gelegten Todesfälle verantwortlich ist. Im ersten Fall soll Högel laut Dienstplan erst Stunden später zur Arbeit gekommen sein. Im zweiten Fall passen Namen und Zimmernummer einer mutmaßlich von Högel getöteten Frau nicht zusammen.

Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann, die Staatsanwaltschaft und die 18 Verteidiger befragten Högel erneut stundenlang zu den acht zur Verhandlung stehenden Todesfällen in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst. Obgleich die Fälle zum Teil mehr als 20 Jahre zurückliegen, müssen sie für diesen Prozess neu bewiesen werden. Denn für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung, wie Richter Bührmann erneut bentonte: „Die Uhren sind auf Null zurückgestellt.“

Angeklagt sind Ärzte, Verantwortliche aus der Pflege und ein früherer Geschäftsführer. Ihnen wird Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätten sie viele Mordtaten Högels mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindern können. Allen Angeklagten sei von bestimmten Zeitpunkten an klar gewesen, dass von Högel eine Gefahr für die Patienten ausgehe. (Az.: 5 Ks 20/16)

Wie bei den bisherigen Verhandlungstagen versuchten die Verteidiger, Widersprüche in der Anklage und bei Högel herauszuarbeiten. Immer wieder musste Högel Wissenslücken einräumen. Oft sagte er: „Ich kann mich nicht erinnern, aber ich kann auch nichts ausschließen.“

Teilweise widersprach Högel den Verteidigern: Bei dem im Widerspruch zu seinem Dienstplan stehenden Todesfall erinnerte Högel daran, dass er damals im Rahmen von Rufbereitschaften oder für Doppelschichten auch außerhalb seiner Kernarbeitszeiten im Krankenhaus war.

Der Todesfall einer weiteren Patientin blieb rätselhaft. Högel bestätigte, dass er die Frau, die mit einer Herz-Lungen-Maschine versorgt wurde, vergiftet habe. Er erinnere sich auch deshalb so gut an die Tat, weil diese technisch anspruchsvollen Geräte äußerst selten eingesetzt würden.

Aufgrund des Studiums der Patientenakten, die er für die Prozessvorbereitung als Erinnerungshilfe erhalten habe, sei er sicher gewesen, dass es sich bei der Patientin um Frau T. gehandelt habe, sagte Högel. Er wisse auch genau, dass Frau T. im Einzelzimmer Nummer 7 gelegen habe. Doch ein Verteidiger widersprach den Angaben und ließ auf den Monitoren im Gerichtssaal einen Stationsplan einblenden. Demnach hatte Frau T. auf Zimmer 15 gelegen, einem Doppelzimmer.

Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht zu einer lebenslangen Haft wegen 85 Morden verurteilt worden. Bereits 2015 war er wegen weiterer Tötungen verurteilt worden. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.