Berlin (epd). Deutschland ist nach Einschätzung der Bundesregierung gut auf die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vorbereitet. Hilfreich dabei seien die Erfahrungen und Strukturen, die nach der Fluchtbewegung 2015 gewachsen seien, sagte die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan (SPD) und versicherte: „Deutschland wird alle Menschen aus der Ukraine aufnehmen, die hier ankommen.“ Bislang seien 18.000 Menschen registriert worden, „aber es kommen stündlich mehr“. Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält es für möglich, dass insgesamt zehn Millionen Menschen aus der Ukraine flüchten könnten.
Staatsministerin Alabali-Radovan sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND, Samstag), allen Menschen aus der Ukraine, die nach Deutschland flüchten, solle die Teilnahme an einem Integrationskurs ermöglicht werden. „Wir stellen die Weichen auf Integration, wenn die Menschen nicht in ihre ukrainische Heimat zurückkehren können: Sie können Arbeit aufnehmen und Sozialleistungen erhalten“, sagte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Sie stehe in engem Kontakt mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „und mit meinen Länderkolleginnen und -kollegen. Alle sind gut vorbereitet.“ Es sei ein „wahrer Schatz, dass in den Jahren von 2015 folgend starke Strukturen gewachsen sind, auf die wir jetzt zählen: bei der Unterbringung, bei der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen, bei der Integration in die Nachbarschaften, in Kitas, Schulen oder in Sportvereinen.“ „Wir sind ein starkes Land, und die Solidarität auf allen Ebenen - mit Herz und Hand - ist eine Sternstunde in dunklen Zeiten“, betonte Alabali-Radovan.
Die Kommunen bereiten laut Deutschem Städte- und Gemeindebund zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten, etwa in Gemeinschaftseinrichtungen und Wohnungen, vor. „Städte und Gemeinden in Deutschland setzen gemeinsam mit sehr vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern alles daran, ihren Beitrag zu einer guten Versorgung und Unterbringung der zu uns geflüchteten Menschen zu leisten“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).
„Außerdem werden in unzähligen Städten und Gemeinden aktuell Hilfslieferungen organisiert, die an die ukrainisch-polnische Grenze gebracht werden“, betonte Landsberg. Die Kommunen müssten sich aber darauf verlassen können, dass Bund und Länder anfallende Kosten kompensierten.
Der Migrationsforscher Knaus erinnerte an Tschetschenien. Die dortige Kriegsführung des russischen Präsidenten Wladimir Putin habe dazu geführt, dass ein Viertel der Tschetschenen vertrieben worden sei. „Darauf müssen wir uns einstellen“, sagte Knaus dem RND (Samstag). „Ein Viertel der Ukrainer entspräche zehn Millionen Menschen. Das ist bei der aktuellen Dynamik durchaus möglich, sollte der Krieg so weitergehen.“
„In einer Woche haben schon so viele Menschen die EU erreicht wie im gesamten Bosnienkrieg“, sagte Knaus: „Diese Geschwindigkeit zeigt, dass wir in Europa vor der schnellsten und größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg stehen.“
Die Europäische Union setze darauf, dass ein Großteil der Ukrainer sich selbst in die Länder verteile, wo sie Kontakte hätten. „Darüber hinaus wird es aber viele Menschen geben, denen man beim Ankommen helfen muss“, sagte Knaus dem RND: „Eine große Zahl wird nach Deutschland kommen, weil Deutschland 2015 bereits Erfahrung mit vielen Flüchtlingsaufnahmen gemacht hat. Andere Staaten, darunter Polen, haben das nicht.“
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt nach einem Bericht des „Spiegels“, dass bis zu 225.000 Kriegsvertriebene aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchen könnten. Demnach rechnet die Organisation damit, dass insgesamt bis zu 1,7 Millionen Menschen die Ukraine werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR meldete am Donnerstag bereits 1,2 Millionen Vertriebene.