Zeuge Högel kennt Anklage gegen seine Chefs nicht

Zeuge Högel kennt Anklage gegen seine Chefs nicht
Anwälte stellen die Glaubwürdigkeit des Patientenmörders infrage
Die Aufarbeitung der Morde des Ex-Pflegers Niels Högel ist in die zweite Runde gegangen. Noch bevor sieben Vorgesetzte zu ihrer Verantwortung in der Tötungsserie vom Gericht befragt werden, wecken deren Anwälte Zweifel am Hauptzeugen Högel.

Oldenburg (epd). Vor dem Landgericht Oldenburg muss seit Dienstag der Patientenmörder Niels Högel (45) als Zeuge gegen sieben frühere Vorgesetzte aussagen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätten sie die Mordtaten mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindern können. Zur Verhandlung stehen drei Tötungsdelikte in Oldenburg und fünf in Delmenhorst. Doch der Wert der Zeugenaussagen Högels steht in Zweifel. (Az.: 5 Ks 20/16).

In der Befragung durch die Anwälte der Angeklagten zeigte Högel Wissenslücken. Er habe sich nicht weiter inhaltlich auf den Prozess vorbereitet, weil er „möglichst objektiv“ als Zeuge helfen wolle, sagte er. So sei ihm zwar bekannt, wer angeklagt sei und dass es um Totschlag durch Unterlassen gehe. Doch um wie viele Todesfälle es genau gehe und wie die jeweiligen Opfer hießen, wisse er nicht.

Ungereimtheiten gab es auch bei der Befragung Högels durch den Berliner Rechtspsychologen Max Steller, der dessen Glaubhaftigkeit überprüfen soll. So sagte Högel, er habe das 2019 gegen ihn verhängte Urteil intensiv gelesen. Es müsse „um die 20 Seiten“ lang sein. Tatsächlich umfasst das Urteil zu 85 Morden 149 Seiten. Der Experte für Mordfälle in Kliniken, Psychiatrie-Professor Karl H. Beine, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande des Verfahrens, damit stehe die ganze Glaubwürdigkeit Högels infrage.

Mehrfach zogen die insgesamt 18 Verteidiger der Angeklagten in Zweifel, dass sich Högel überhaupt glaubhaft an die vielen Morde erinnern könne. Es sei dagegen wahrscheinlich, dass seine heutigen Erinnerungen auf den Patientenakten gründeten, die er zur Vorbereitung auf seinen Prozess erhalten habe.

Um zu verhindern, dass es dem Gericht und anderen Prozessbeteiligten ähnlich gehen könnte, beantragten die Anwälte, das Urteil gegen Högel als Beweisurkunde erst spät oder gar nicht in den Prozess einzubringen. Das Urteil enthalte Feststellungen zu ihren Mandanten und könne daher die gebotene Unvoreingenommenheit gefährden.

Klärungsbedarf ergab sich zu Kontakten Högels zum Medienunternehmen „Filmpool“, das im vergangenen Jahr die True-Crime-Reihe „Der Todespfleger - Die Morde des Niels Högel“ produzierte. Darin wird ein Telefoninterview verwendet, das Högel aus dem Gefängnis heraus einem Journalisten gab. Ein Anwalt der Angeklagten erhob den Vorwurf, „Filmpool“ habe an ein Familienmitglied Högels 10.000 Euro gezahlt. Noch im Gerichtssaal ordnete der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann an, alle Unterlagen in Högels Zelle zu Medienkontakten als mögliche Beweisstücke zu beschlagnahmen. Außerdem sollen alle Notizen Högels zu seinem letzten Prozess konfisziert werden.

Unter den Angeklagten sind Ärzte, Verantwortliche aus der Pflege und ein früherer Geschäftsführer. Ihnen wird Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht zu einer lebenslangen Haft wegen 85 Morden verurteilt worden. Bereits 2015 war er wegen zwei weiterer Tötungen verurteilt worden. Er selbst behauptete am Dienstag, er sei für 107 Todesfälle schuldig gesprochen worden. Högel hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.