Soziologe Hieber: Jogginghose ist Zeichen einer freieren Gesellschaft

Soziologe Hieber: Jogginghose ist Zeichen einer freieren Gesellschaft
18.01.2022
epd
epd-Gespräch: Daniel Behrendt

Hannover (epd). Anders als der verstorbene Modeschöpfer Karl Lagerfeld hält der hannoversche Kultur- und Modesoziologe Lutz Hieber die Jogginghose nicht für einen Ausdruck von Kontrollverlust, sondern für ein rebellisches Statement. „Die Jogginghose ist Ausdruck einer unverkrampften Lebenshaltung, die sich kaum darum schert, überkommenen Maßstäben zu entsprechen“, sagte der emeritierte Professor der Leibniz Universität Hannover anlässlich des „Tages der Jogginghose“ am 21. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies gelte erst recht in einer Gesellschaft, die noch vor wenigen Jahrzehnten autoritär und bürgerlich-konservativ geprägt gewesen sei. Von dem 2019 verstorbenen langjährigen Chefdesigner des französischen Haute-Couture-Hauses Chanel ist das Zitat überliefert: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Dass die Jogginghose inzwischen nicht mehr nur Teil der Alltagskleidung von Sub- und Jugendkulturen sei, sondern zumindest im Freizeitbereich auch von „berufsmäßigen Anzugträgern“ akzeptiert werde, sei ein Zeichen dafür, dass gesellschaftliche Konventionen schichtübergreifend schwächer würden: „Die Jogginghose ist weit und locker, widersetzt sich der Förmlichkeit, ist gewissermaßen ein regelloses Kleidungsstück. Sie steht für einen eher hedonistischen Lebensstil, der inzwischen auch in etabliertere Milieus übergeschwappt ist“, betonte Hieber.

Zurückhaltend äußerte sich der Soziologe zu der Frage, ob die Jogginghose durch pandemiebedingtes Homeoffice und entsprechend gelockerte Dresscodes absehbar bürotauglich werden könnte. Viele Arbeitswelten seien nach wie vor von „knochenkonservativen Männern“ dominiert. Treiber modischer Entwicklungen seien hingegen seit jeher Frauen, auch weil ihre Rolle im Zuge der Emanzipation weitaus dynamischer gewesen sei.

Je nachdem, wie hartnäckig Konventionen und Rollenmuster seien, könne es lange dauern, bis bestimmte Kleidungsstücke akzeptiert würden. Als Beispiel nannte Hieber die Fahrradhose für Frauen, die Ende des 19. Jahrhunderts die Dominanz des Rocks infrage gestellt habe. Dennoch seien noch viele Jahrzehnte vergangen, „bis Frauen in allen Schichten und Milieus zu nahezu allen Gelegenheiten wie selbstverständlich Hosen trugen“. Dass eine Büro-Jogginghose dennoch irgendwann denkbar sei, beweise die Erfolgsgeschichte der Jeans, die sich von einer Arbeitshose zur „Hose für alle Gelegenheiten“ gemausert habe.