Erster Syrien-Prozess endet mit lebenslanger Haftstrafe

Erster Syrien-Prozess endet mit lebenslanger Haftstrafe
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Morde, Körperverletzung: Der weltweit erste Prozess um Staatsfolter in Syrien ist am Donnerstag mit lebenslanger Haft für den Hauptangeklagten geendet. Menschenrechtler setzen auf weitere Prozesse.

Koblenz (epd). Zu einer lebenslangen Haftstrafe hat das Koblenzer Oberlandesgericht am Donnerstag den Hauptangeklagten im weltweit ersten Prozess um Staatsfolter in Syrien verurteilt. Die Richter befanden den mutmaßlich früheren syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. für schuldig, für 27 Morde verantwortlich zu sein. Außerdem wurden ihm gefährliche Körperverletzung, besonders schwere Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und sexueller Missbrauch von Gefangenen zur Last gelegt. (AZ.: 1 StE 9/19) Menschenrechtsorganisationen begrüßten das Urteil.

Die Bundesstaatsanwaltschaft hatte dem 58-Jährigen vorgeworfen, für Folter in mindestens 4.000 Fällen, Mord an mindestens 30 Menschen und mehrere Vergewaltigungen sowie Fälle sexualisierter Gewalt verantwortlich zu sein. Die Taten seien zwischen April 2011 und September 2012 begangen worden, als Anwar R. beim syrischen Geheimdienst für die Haftanstalt Al-Khatib verantwortlich war, die als Foltergefängnis bekannt ist. Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert.

Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus N. Beeko, bezeichnete das Urteil als „ein historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit“. Amnesty erwarte, dass in Deutschland und in weiteren Staaten auf diesen Erkenntnissen aufbauend weitere Prozesse nach dem Weltrechtsprinzip angestrengt werden. Dieses Prinzip ermöglicht die Strafverfolgung von schweren Verbrechen, unabhängig davon, wo sie begangen wurden.

Der Generalsekretär der Berliner Menschenrechtsorganisation „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR), Wolfgang Kaleck, erklärte: „Das Weltrechtsprinzip ist oft die letzte Hoffnung für Betroffene schwerster Verbrechen.“ Das heutige Urteil schaffe eine Basis für andere europäische Strafverfolger, weitere Verfahren zu betreiben. „Die Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien in Drittstaaten ist zwar nicht ideal - aber möglich, und eine Pflicht gegenüber den Betroffenen“, unterstrich er.

Als Vertreter der Nebenklage und ECCHR-Partneranwalt erklärte Patrick Kroker, das Urteil sei „nur ein erster Schritt zur Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien“. „Es bleibt das Ziel, hochrangige Mitarbeiter von Assad, wie den ehemaligen Luftwaffengeheimdienstchef Jamil Hassan für ihre Verbrechen vor Gericht zu bringen“, betonte er. Auch die syrische Nebenklägerin Ruham Hawash lobte das Urteil. „Es zeigt uns: Gerechtigkeit muss und darf kein Traum für uns bleiben.“

Der Geschäftsführer von Human Rights Watch, Kenneth Roth, sprach ebenfalls von einem „historischen Urteil“. Folter und Mord seien zentrale Elemente des Assad-Regimes. Wegen der Blockade seitens Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat könnten diese und andere Vorwürfe, wie etwa der Einsatz chemischer Waffen, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof untersucht werden. Deutschland nehme bei der Verfolgung von Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip eine Vorreiterrolle ein.

Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Richterbund. „Das Koblenzer Urteil sendet das wichtige Signal an die Täter und ihre Opfer: Kriegsverbrecher müssen in Deutschland mit einer Strafverfolgung rechnen“, erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Anwar R. stand seit dem 23. April 2020 gemeinsam mit Eyad A., ebenfalls früherer syrischer Geheimdienst-Mitarbeiter, wegen Staatsfolter vor Gericht. Eyad A. war bereits Ende Februar vergangenen Jahres zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die beiden Ex-Geheimdienstler waren 2014 beziehungsweise 2018 nach Deutschland gekommen. Sie wurden im Februar 2019 festgenommen.