Report: Zahl der Pflegebedürftigen steigt stärker als angenommen

Report: Zahl der Pflegebedürftigen steigt stärker als angenommen
Neue Prognosen zeigen, dass es in knapp zehn Jahren rund eine Million mehr pflegebedürftige Menschen geben wird als bisher berechnet. Das dürfte den Pflegenotstand verschärfen, wenn es nicht gelingt, genügend Pflegekräfte zu gewinnen.

Berlin (epd). Die Zahl der künftigen Pflegebedürftigen in Deutschland wird unterschätzt und damit auch die Herausforderungen, die auf Politik und Gesellschaft zukommen. Aus dem Pflegereport 2021 der Barmer geht hervor, dass es einer neuen Prognose zufolge im Jahr 2030 rund sechs Millionen pflegebedürftige Menschen geben wird und damit etwa eine Million mehr als bisher angenommen. Der Report wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt.

Um die Menschen zu versorgen, sind dem Barmer-Report zufolge gegenüber heute mehr als 180.000 zusätzliche Pflegekräfte nötig. Die jährlichen Ausgaben der Pflegeversicherung werden von derzeit 49 Milliarden Euro im Jahr bis 2030 auf 59 Milliarden Euro steigen. Der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub, sprach von einem „alarmierenden Zukunftstrend“. Die Diakonie Deutschland erklärte, es drohe ein Pflegenotstand.

Die Berechnungen stammen von dem Bremer Pflegeökonomen Heinz Rothgang. Seinen Angaben zufolge wird die Zunahme an pflegebedürftigen Menschen bisher unterschätzt, weil in den Prognosen von einem jedes Jahr etwa gleich hohen Anstieg an Pflegebedürftigen ausgegangen wird. Tatsächlich sei aber zu sehen, dass der Anstieg in den vergangenen Jahren stets höher ausgefallen sei als im Vorjahr, erklärte der Wissenschaftler.

Derzeit gibt es rund 4,5 Millionen Pflegebedürftige. Der Großteil der Menschen wird bisher und wird auch weiterhin von Angehörigen gepflegt werden. Der Anstieg ist mit rund 630.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen bis 2030 daher in dieser Gruppe am höchsten. Zusätzlich werden Rothgang zufolge voraussichtlich insgesamt eine Million Pflegebedürftige in Einrichtungen und rund 1,2 Millionen von ambulanten Pflegediensten versorgt werden. Dazu sind den Berechnungen zufolge 2030 rund 81.000 Pflegefachkräfte, 87.000 Pflegehilfskräfte und etwa 14.000 zusätzliche angelernte Kräfte nötig.

Rothgang sagte, das „zentrale Zukunftsproblem“ sei die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen. Es müsse gelingen, mehr Pflegekräfte auszubilden und die bereits beschäftigten Fach- und Hilfskräfte im Beruf zu halten. Er warb eindringlich dafür, die Vorgaben für neue Personalschlüssel konsequent umzusetzen. Die künftige Ampel-Koalition hat dies nur für die ersten Schritte vereinbart. Die zusätzlichen Stellen müssten besetzt werden, sagte Rothgang, damit sich die Arbeitsbedingungen verbesserten. Eine bessere Bezahlung und mehr Personal werde aber auch die Kosten erhöhen, weshalb die Eigenanteile der Heimbewohnerinnen und -bewohner gedeckelt werden müssten, da diese heute schon „bis zum Anschlag“ belastet seien, sagte Rothgang.

Diakonie-Vorständin Maria Loheide erklärte mit Blick auf die Koalitionsvereinbarungen ebenfalls, der stufenweise Personalaufbau in den Pflegeeinrichtungen müsse über das Jahr 2025 hinaus abgesichert werden. „Diese Zusage erwarten wir von der Politik.“ Wenn es nicht gelinge, den Pflegeberuf so attraktiv zu machen, dass sich mehr Menschen für ihn entscheiden, werde sich die Situation in der Pflege dramatisch zuspitzen.

Der Barmer-Vorstandsvorsitzende Straub bilanzierte, einiges sei mit der Vereinheitlichung der Ausbildung, der Abschaffung des Schulgeldes und mehr Stellen in der Altenpflege bereits auf den Weg gebracht. Ob das reichen werde, sei aber offen. Als positive Signale wertete Straub die Absicht der künftigen Ampel-Koalition, einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten einzuführen und geteilte Dienste abzuschaffen.