Amnesty sieht Äthiopien am Rand einer Menschenrechtskatastrophe

Amnesty sieht Äthiopien am Rand einer Menschenrechtskatastrophe

Frankfurt a.M. (epd). Nach der Ausrufung des Notstands steuert Äthiopien Amnesty International zufolge auf eine menschenrechtliche und humanitäre Katastrophe zu. Der Ausnahmezustand sei unverhältnismäßig, da er für das ganze Land gelte und Menschenrechte einschränke, die laut internationalem Recht unter keinen Umständen beschränkt oder außer Kraft gesetzt werden dürften, erklärte die Organisation am Freitag. Die Notstandsregelungen seien derart umfassend und pauschal, dass sie zunehmenden Menschenrechtsverletzungen Tür und Tor öffneten, kritisierte der Amnesty-Direktor für das östliche und südliche Afrika, Deprose Muchena. Besonders gefährdet seien Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, Medienschaffende, Angehörige von Minderheiten und Oppositionelle.

Am Donnerstag hatte das Parlament den von Ministerpräsident Abiy Ahmed vorgeschlagenen Notstandsregelungen zugestimmt. Sie gelten für sechs Monate und erlauben der Regierung unter anderem, das Militär einzusetzen, Bürger zum Militärdienst einzuberufen, Personen ohne Gerichtsentscheidung zu inhaftieren und Medien, nichtstaatliche Organisationen sowie lokale Verwaltungen aufzulösen. Für die Umsetzung des Notstands zuständig ist eine neue Kommandozentrale der Streitkräfte, die Ministerpräsiden Abiy untersteht.

Hintergrund ist ein Machtkampf zwischen Abiys Zentralregierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) in der nördlichen Region, der vor einem Jahr eskalierte und in einem bewaffneten Konflikt mündete. Tausende Menschen sind seither getötet, Hunderttausende vertrieben worden. UN-Schätzungen zufolge leben in Tigray 400.000 Menschen im Zustand einer Hungersnot. Inzwischen hat sich die Krise auf andere Regionen ausgeweitet und droht, den Vielvölkerstaat in einen Bürgerkrieg zu stürzen.

Schon vor Ausrufung des Notstands seien Menschen massenhaft willkürlich inhaftiert worden, vor allem Journalisten und Menschenrechtsaktivisten aus Tigray, die beschuldigt wurden, Verbindungen zur TPLF zu haben, erklärte Amnesty. Die Regierung stuft die TPLF als Terrororganisation ein und jede Äußerung zu deren Gunsten als Verbrechen ein. Seitdem Regierungsbeamte zu Waffengewalt gegen die TPLF und die Befreiungsarmee der Oromo (OLA) aufgerufen habe, zeige sich in den sozialen Netzwerken ein alarmierender Anstieg von Aufrufen zu Gewalt.

TPLF und OLA hatten sich jüngst im Kampf gegen die Zentralregierung verbündet. Allen Konfliktparteien werden schwere Menschenrechtsverbrechen wie Massaker, außergerichtliche Hinrichtungen von Gefangenen und sexuelle Gewalt vorgeworfen.