Ehemalige KZ-Sekretärin nach Flucht am ersten Verhandlungstag gefasst

Ehemalige KZ-Sekretärin nach Flucht am ersten Verhandlungstag gefasst
Prozess wird im Oktober fortgesetzt
In Itzehoe ist eine ehemalige Sekretärin des KZ Stutthof der Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen angeklagt. Zum Prozessauftakt floh die 96-Jährige, wurde jedoch gefasst. Nun wird ihre Hafttauglichkeit geprüft.

Itzehoe (epd). Eine vor dem Landgericht Itzehoe angeklagte ehemalige Sekretärin des KZ Stutthof ist nach ihrer Flucht am ersten Verhandlungstag festgenommen worden. Ein Arzt prüfe nun ihre Hafttauglichkeit, sagte Landgerichtssprecherin Frederike Milhoffer am Donnerstag vor Medienvertretern in Itzehoe. Der nächste Verhandlungstermin soll wie geplant am 19. Oktober stattfinden.

Die Hauptverhandlung gegen die 96 Jahre alte Irmgard F. war kurz nach der Eröffnung am ersten Verhandlungstag unterbrochen worden, da die Angeklagte nicht erschienen war. Sie habe am Donnerstagmorgen sehr früh ihren Wohnort in einem Altenheim in Quickborn in Richtung Hamburg mit einem Taxi verlassen, teilte der Vorsitzende Richter Dominik Groß mit. Es wurde Haftbefehl erlassen und die Angeklagte gesucht. Gegen Mittag wurde sie an der nördlichen Hamburger Stadtgrenze gefasst.

Die Anklage wirft Irmgard F. Beihilfe zu mehr als 11.000 Fällen des Mordes und versuchten Mordes vor. Der Angeklagten wird zur Last gelegt, in ihrer Funktion als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des ehemaligen KZ Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben. Das Verfahren wird vor der 3. Großen Jugendkammer verhandelt, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 bis 19 Jahre alt und somit Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war.

Das Gericht werde alle notwendigen rechtsstaatlich zulässigen Maßnahmen treffen, damit die Angeklagte zu dem Verhandlungstermin im Oktober erscheine, erklärte Milhoffer. Ohne die Angeklagte kann die Anklageschrift nicht verlesen werden. Geplant sind zunächst 27 Hauptverhandlungstermine bis Juni 2022, an denen die Angeklagte stundenweise teilnehmen sollte. „Aufgrund des Alters und der Gebrechlichkeit der Frau war für das Gericht nicht vorhersehbar, dass die Angeklagte sich dem Verfahren aktiv entzieht“, sagte Milhoffer.

Vor einiger Zeit hatte Irmgard F. dem Gericht allerdings bereits in einem Brief mitgeteilt, dass sie nicht zum Verfahren erscheinen werde. Der Richter habe ihr geantwortet und ihr die Konsequenzen eines Nichterscheinens erklärt, sagte die Gerichtssprecherin.

„Die Flucht der Angeklagten ist eine zynische Verachtung der Überlebenden, aber auch des Rechtsstaats“, sagte Christoph Heubner, Schriftsteller und Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Diese Haltung des Schweigens, Verachtens und Zerstörens sei genau die Haltung, die der SS innegewohnt habe.

Aber auch die deutsche Justiz müsse sich die Frage gefallen lassen, wie es dazu kommen konnte. „Man hätte die Möglichkeit der Flucht mitdenken und das Pflegeheim abschirmen und die Angeklagte zum Prozess bringen müssen“, sagte Heubner. Diese Situation sei Deutschlands nicht würdig. Bei den Überlebenden löse die Flucht ungläubiges Kopfschütteln aus. Sie erhofften sich vom Prozess einen Akt später Gerechtigkeit.