Corona: Verfassungsrechtler warnt vor Nachteilen für Ungeimpfte

Schild mit 3-G-Regel
© Arne Dedert/dpa
Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler beklagt eine Impfpflicht durch die Hintertür. Der Anfang sei mit der 3-G-Regel gemacht worden. Nun werde gefordert, Ungeimpften, die in Quarantäne müssen, den Verdienstausfall nicht mehr zu erstatten.
Debatte um Impfpflicht
Corona: Verfassungsrechtler warnt vor Nachteilen für Ungeimpfte
10.09.2021
epd
epd-Gespräch: Jörg Nielsen

Oldenburg (epd). Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hat vor weiteren Nachteilen für Ungeimpfte in der Corona-Pandemie gewarnt. „Wir erleben gerade die nächste Eskalationsstufe bei der Einführung einer Impfpflicht durch die Hintertür“, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Anfang sei mit der 3-G-Regel gemacht worden. Nun werde gefordert, Ungeimpften, die in Quarantäne müssen, den Verdienstausfall nicht mehr zu erstatten. Entsprechende Schritte haben mehrere Bundesländer bereits angekündigt.

„Wenn die Impfung weiterhin freiwillig sein soll, dürfen Impfunwilligen keine Nachteile entstehen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen“, unterstrich Boehme-Neßler. „Entstehen für sie Nachteile, werden sie diskriminiert, und das lässt unsere Verfassung nicht zu.“ In Baden-Württemberg sei sogar ein Lockdown nur für Ungeimpfte geplant. „Das bedeutet eine massive Einschränkungen der Grundrechte.“

Der Verfassungsexperte und Impfbefürworter kritisierte eine schleichende Kriminalisierung der Impfunwilligen. Der auch von der Politik geförderte gesellschaftliche Druck sei gleichbedeutend mit einer indirekten Impfpflicht.

„Die Idee greift ja weiter und gefährdet den Solidaritätsgedanken unseres Gesundheitswesens, demzufolge jeder die Hilfe bekommt, die er benötigt.“ Schon jetzt sei allenthalben zu hören, niemand müsse Nachteile befürchten, wenn er oder sie sich nur impfen lasse. „Wo soll das enden? Werden Herz-Kreislauf-Erkrankte künftig nicht mehr operiert, weil sie sich ja als jüngere Menschen hätten besser ernähren können?“, fragte der Professor.

Vor einer direkten oder indirekten Impflicht fordere die Verfassung den Einsatz aller denkbaren milderen Mittel. „Hier ist noch viel mehr Kreativität gefragt“, betonte der Verfassungsexperte. Das Impfangebot müsse noch leichter zugänglich sein. Vor allem in Stadtteilen, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, sei die Impfquote besonders niedrig. „Warum wird dort nicht beispielsweise in Zusammenarbeit mit den Imamen muttersprachlich für die Impfung geworben?“

Die Politik denke derzeit zu kurzfristig, sagte Boehme-Neßler. „Wir erleben gerade, wie die Gesellschaft millimeterweise verändert wird.“ Der eine Millimeter scheine nicht so schlimm zu sein. „Doch am Ende geht es um die Freiheit aller Menschen.“