EU-Innenminister ringen um Linie gegenüber Afghanistan-Flüchtlingen

EU-Innenminister ringen um Linie gegenüber Afghanistan-Flüchtlingen
Seehofer: Nennen von Aufnahme-Zahlen würde "Pull-Effekt" zeitigen
Europa ist raus aus Afghanistan. Nun sollen die Afghanen nicht rein nach Europa - das ist zumindest die Meinung einer gewichtigen Gruppe von Ländern beim Sondertreffen der EU-Innenminister.

Brüssel (epd). Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan will eine Reihe von EU-Staaten möglichen Migranten und Flüchtlingen in Richtung Europa von Vornherein einen Riegel vorschieben. „Bleiben Sie dort“, sagte Österreichs Innenminister Karl Nehammer am Dienstag vor dem Sondertreffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel auf Englisch, gerichtet an die Menschen in der Region um Afghanistan. „Wir werden die Region dabei unterstützen, den Menschen dort zu helfen“, fügte er hinzu.

Ähnlich wie Österreich äußerten sich die Minister Tschechiens und Dänemarks. „Menschen sollten nicht nach Europa kommen“, erklärte Dänemarks Mattias Tesfaye. Zugleich müsse man anders als 2015 sicherstellen, dass die Menschen in den Nachbarstaaten - damals von Syrien, heute von Afghanistan - das hätten, was sie benötigten.

Auch ein Entwurf der gemeinsamen Abschlusserklärung legte großes Gewicht auf die Vermeidung von „illegaler Migration“ nach Europa in Kombination mit EU-Hilfen vor Ort. Die EU-Staaten seien „entschlossen, die EU-Außengrenzen wirksam zu schützen“, hieß es in der unter dem slowenischen Ratsvorsitz vorbereiteten Erklärung.

Luxemburg kritisierte diese Linie scharf. Migrationsminister Jean Asselborn sagte: „Die Europäische Union ist aufgebaut auf Werten.“ Es dürfe daher nicht primär um Grenzsicherung und Rückführungen gehen, sondern darum, „Menschen eine Hoffnung zu geben“. Er nannte beispielhalber Frauen, Mädchen, Journalisten und Richter und Richterinnen, die Taliban verurteilt hätten.

Unterdessen ließ auch der Entwurf der gemeinsamen Erklärung die Möglichkeit zu, dass Afghanen über die Evakuierungen der letzten Tage hinaus organisiert nach Europa gelangen - auf freiwilliger Basis der Aufnahmeländer in Form des sogenannten Resettlements. Damit können Schutzbedürftige, insbesondere Frauen und Kinder, in Drittländern für eine Aufnahme identifiziert und dann auf legalem und sicherem Weg ins Aufnahmeland geholt werden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ließ diese Möglichkeit für Deutschland offen, lehnte aber ab, über konkrete Zahlen zu sprechen. Die Bundesregierung habe stets Resettlement-Programme für besonders „geschundene Personen“ mit vereinbart, sagte er in Brüssel. „Dazu sind wir auch bereit.“ Das Nennen von Zahlen würde aber einen „Pull-Effekt“ auslösen.

Davon abgesehen hält Deutschland nach Seehofers Worten daran fest, ehemalige Ortskräfte sowie besonders Schutzbedürftige wie Menschenrechtsaktivistinnen aufzunehmen. Diese bekämen in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis. Daneben sei man bemüht, dass in Afghanistan selbst geholfen werde und „die benachbarten Regionen Afghanen versorgen“.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl nannte die sich andeutende Linie der EU „unfassbar“. Geschäftsführer Günter Burkhardt erklärte mit Blick auf den Entwurf der Abschlusserklärung: „Es handelt sich um Flüchtlinge, um Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind. Der Westen hat sie in Afghanistan im Stich gelassen - nun wird alles getan, um zu verhindern, dass sie in Europa Schutz suchen.“