Berlin (epd). Der Migrationsexperte Gerald Knaus fordert von der Bundesregierung, ein klares Aufnahmekontingent für gefährdete Menschen aus Afghanistan zu nennen. Es sei wichtig, dass die Länder der Koalition, die in den vergangenen Jahren in dem Land am Hindukusch gekämpft hätten, nun vorangingen, sagte der Vorsitzende des Berliner Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nur dann könne man auch andere Länder davon überzeugen zu helfen.
Die Vereinigten Staaten hätten jüngst einige Balkanländer wie Albanien, Nordmazedonien und das Kosovo gebeten, zumindest vorübergehend Menschen aufzunehmen. Laut Knaus sollte die Bundesrepublik so wie Kanada mindestens ein Kontingent von 20.000 Menschen anstreben. „Es bringt nichts, auf imaginäre EU-Lösungen zu setzen“, sagte der Autor von „Welche Grenzen brauchen wir?“.
In Afghanistan warteten weit über Hunderttausend Menschen auf Hilfe, darunter nicht nur Ortskräfte westlicher Armeen, einheimische Mitarbeiter der UN und von Nicht-Regierungsorganisationen, sondern auch Menschenrechtler, Frauenrechtsaktivistinnen, Journalisten und freie Korrespondenten. „Eine Zahl, die jetzt schon größer ist, als die derjenigen Menschen, die bis zum Ende des Monats evakuiert werden könnten, wenn es gelingt die Situation am Flughafen in Kabul zu stabilisieren“, sagte Knaus.
Hingegen dürften wenige Menschen in der Lage sein, Afghanistan selbstständig zu verlassen, erklärte Knaus. Verantwortlich dafür sei das Grenzregime der Taliban, die nach der Machtübernahme sämtliche Landesgrenzen kontrollierten, aber auch das Grenzregime der Nachbarstaaten.
Die Angst vor einer großen Fluchtbewegung hierzulande sei „unbegründet“, betonte Knaus. Der Vergleich zu der Situation im Jahr 2015, als die syrische Flüchtlingskrise sich unmittelbar vor den europäischen Grenzen ereignete, sei „Angstmacherei“. 2015 stehe für eine „Sternstunde der Humanität“, viele erinnerten sich aber auch an den Kontrollverlust im Herbst 2015, als in wenigen Monaten mehr eine halbe Million Menschen nach Deutschland flüchteten.
„Das wird sich nicht wiederholen“, sagte Knaus. „Die Grenzen sind geschlossen.“ Diejenigen, die mit solchen Aussagen die Ängste der Menschen adressierten, sollten Fakten nennen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige das Gegenteil. „Egal ob in Europa, Amerika, dem Nahen Osten oder Asien, zuletzt ist es kaum noch Flüchtlingen gelungen, irregulär Grenzen zu übertreten.“
Knaus warnte auch davor, ersten diplomatischen Signalen der Taliban zu vertrauen. Bei der Machtübernahme durch die Taliban handele es sich um eine Revolution. Revolutionen hätten die Eigenschaft, sich sehr schnell zu radikalisieren. „Solange die Taliban ein Interesse daran haben, sich moderat zu zeigen, sollten die westlichen Mächte das ausnutzen, ohne sich nur eine Sekunde darauf zu verlassen“, sagte er.