Barmer-Report: Schwangeren werden riskante Medikamente verschrieben

Barmer-Report: Schwangeren werden riskante Medikamente verschrieben
Sogenannte teratogene Medikamente können zu Fehlbildungen bei Embryos führen. Trotzdem bekommen viele Frauen noch immer diese Arzneimittel verschrieben. Das geht aus dem aktuellen Arzneimittel-Report der Barmer Krankenkasse hervor.

Berlin (epd). Rund 60 Jahre nach dem Contergan-Skandal bekommen laut der Barmer Krankenkasse noch immer viele Frauen im gebärfähigen Alter Medikamente verschrieben, die zu Fehlbildungen des Embryos führen können. Dem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten aktuellen Arzneimittelreport der Krankenkasse zufolge erhielten allein bei der Barmer im Jahr 2018 fast 154.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren sogenannte teratogene Arzneimittel, die unter anderem das zentrale Nervensystem von Ungeborenen schädigen können. Das entspreche einem Anteil von 7,8 Prozent der Frauen in gebärfähigem Alter, hieß es.

Selbst während einer Schwangerschaft wurden demnach derartige Medikamente verschrieben: 663 von 66.500 bei der Barmer versicherten Frauen, die 2018 eine Entbindung hatten, seien diese Präparate im ersten Schwangerschaftsdrittel verordnet worden. Die Absetzquoten mit Eintritt der Schwangerschaft lägen bei den riskanten und besonders riskanten Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent.

Als Hauptproblem nennt der Report nicht die Neuverordnung, sondern die Fortführung von bestehenden Teratogen-Therapien. Nur jedes dritte schwache Teratogen, jedes vierte gesicherte Teratogen und jedes zehnte starke Teratogen wurde im ersten Drittel der Schwangerschaft neu verschrieben, wie es in dem Report heißt, über den zuerst das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND/Donnerstag) zuerst hatte.

„Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf kein Teratogen mehr zum Einsatz kommen. Genau genommen muss der Schutz des ungeborenen Kindes bereits davor beginnen”, sagte Barmer-Vorstandsvorsitzender Christoph Straub. Deshalb sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter, die ständig Medikamente einnehmen müssten, einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten, forderte er. Damit könne das Risiko für das ungeborene Leben massiv reduziert werden. Derzeit bestünden “gefährliche Informationslücken", warnte er. Einen Anspruch auf einen Medikationsplan gebe es bislang nur ab der regelmäßigen Einnahme von drei Medikamenten.

In der späteren Phase der Schwangerschaft bekamen dem Report zufolge 1.210 Frauen, die 2018 eine Entbindung hatten, teratogene Arzneimittel verordnet. Zu diesem Zeitpunkt seien die Risiken zwar etwas geringer, sagte Straub. „In Einzelfällen mag die Verordnung notwendig sein, oftmals liegt aber auch hier ein Medikationsfehler zugrunde und risikoärmere Alternativen wurden nicht eingesetzt.“

Zu den bekannten Teratogenen gehört dem Bericht zufolge der zur Behandlung von Epilepsie eingesetzte Wirkstoff Valproinsäure. Das Präparat könne unter anderem das zentrale Nervensystem des Ungeborenen sowie Herz, Gaumen, Extremitäten, Genitalien und das Gesicht schädigen.

Das Medikament Contergan war von 1957 bis 1961 auf dem Markt. Insgesamt kamen wegen des Schlafmittels rund 10.000 Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt, die Hälfte von ihnen in Deutschland.