Steinmeier: Ein Leben nach der Gewalt aufbauen

Steinmeier: Ein Leben nach der Gewalt aufbauen
Es war "ein besonderer Besuch" für Bundespräsident Steinmeier: Das Staatsoberhaupt sprach mit Menschen, die als Kinder Opfer sexueller Gewalt geworden sind und Fachberaterinnen und -beratern, die ihnen helfen können. Davon gibt es zu wenige.

Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Freitag in Berlin Fachberatungsstellen gegen sexuelle Gewalt an Kindern besucht und dabei auch mit Betroffenen gesprochen. Die Opfer müssten im Mittelpunkt stehen, sagte das Staatsoberhaupt und zeigte sich berührt und beeindruckt von den Begegnungen: „Es war ein besonderer Besuch“, bilanzierte er. Steinmeier rief dazu auf, im Kampf gegen sexuellen Missbrauch an Kindern die Präventionsarbeit auszubauen. In Kitas, in Schulen, überall wo Kinder und Jugendliche betreut werden, müssten die Verantwortlich sensibilisiert werden, Hinweise aufzugreifen und Verdachtsmomenten nachzugehen.

Wo Kinder Gewalt ausgesetzt seien, müsse entschlossen eingegriffen werden, sagte Steinmeier. Beratungsstellen spielten eine wichtige Rolle dabei, zerstörtes Vertrauen wiederzuerlangen und bestärkten junge Menschen darin, sich „ein Leben nach der Gewalt aufzubauen“, sagte Steinmeier nach einem knapp einstündigen Gespräch mit Fachberaterinnen und -beratern von „Wildwasser“, „Hilfe-für-Jungs“ und der Bundeskoordinierung spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF).

Katrin Schwedes von der BKSF sagte, es sei ein wichtiges Signal, wenn sich das Staatsoberhaupt mit den Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen auseinandersetze. Signalwirkung erhofften sich die Beratungsstellen von Steinmeiers Besuch auch in Hinblick auf ihre Finanzierung durch Länder und Kommunen. Besonders auf dem Land fehlen spezialisierte Beratungs- und Hilfsangebote. Missbrauch sei zwar spätestens seit der Aufdeckung der Skandale in der katholischen Kirche 2010 kein gesellschaftlich tabuisiertes Thema mehr. Doch stünden Aufklärung und Präventionsarbeit in der Praxis wegen mangelnder Mittel und Fachkräfte noch immer am Anfang, bilanzierte Schwedes.

Bundesweit gibt es 350 Fachberatungsstellen, davon sind 13 auf Jungen und Männer spezialisiert. Ein Großteil arbeitet nach Angaben der BKSF ohne ausreichende und kontinuierliche Finanzierung. Der von Feministinnen gegründete Verein „Wildwasser“, der Anfang der 1980er Jahre in Berlin die erste Beratungsstelle zur Unterstützung sexuell missbrauchter Mädchen und Frauen eröffnete, leistete Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Irina Stolz von „Wildwasser“ betonte im Gespräch mit dem Bundespräsidenten die große Stärke vieler Mädchen und Frauen, die sexuelle Gewalt erlitten haben. Viele seien „Kämpferinnen“, sagte sie und schafften es, sich ein eigenes Leben aufzubauen.

Der Besuch Steinmeiers bei den Fachberatungsstellen ist nicht sein erster Austausch mit Betroffenen und Experten. Der Bundespräsident hat den Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen wiederholt zum Thema gemacht. Zuletzt sprach er im Mai auf dem 3. Ökumenischen Kirchentag die „quälend langsame Aufdeckung und Aufarbeitung“ der Missbrauchs-Verbrechen durch die Kirchen an. Im April dieses Jahres zeichnete Steinmeier den Jesuitenpater Klaus Mertes und den Aktivisten Matthias Katsch für ihren Einsatz gegen die Vertuschung der Skandale in der katholischen Kirche mit dem Bundesverdienstkreuz aus. Ende Juni ist ein Empfang der Mitglieder des Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen beim Bundespräsidenten geplant.