Gegen das Diktatur-Erbe: Chile wählen Verfassungskonvent

Gegen das Diktatur-Erbe: Chile wählen Verfassungskonvent

Berlin, Santiago (epd). Die Chilenen wollen ein gewichtiges Erbe der Pinochet-Diktatur (1973-1990) abstreifen. Am Samstag und Sonntag sind sie zur Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung aufgerufen, die das aus der Diktaturzeit stammende Grundgesetz ersetzen soll. Viele Menschen erhoffen sich davon mehr soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Respekt für die Rechte der Ureinwohner.

Mehr als 2.000 Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich für die 155 Sitze des Verfassungskonvents. Im Oktober vergangenen Jahres hatten sich bei einem Referendum knapp 80 Prozent der Wähler für ein neues Grundgesetz ausgesprochen. Zu der Wahl sind etwa 14 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen.

Ursprünglich sollte die Wahl Anfang April stattfinden. Präsident Sebastián Piñera hatte aber aufgrund der steigenden Corona-Infektionen eine Verschiebung verfügt. Jetzt gelten in den Wahllokalen strenge Hygiene-Regeln. Neben dem Verfassungskonvent werden auch Bürgermeister sowie Gemeinde- und Stadträte gewählt.

Die Chilenen setzen große Hoffnungen in eine neue Verfassung. So sind im aktuellen Grundgesetz nicht die Rechte der indigenen Völker verankert, es fehlen grundlegende soziale Rechte, und die Rolle des Staates wurde auf ein Minimum reduziert. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in der alten Verfassung den Grund für die tiefe soziale Ungleichheit und verringerte Bildungschancen für einen Großteil der Bevölkerung.

17 der 155 Sitze des Verfassungskonvents sind für die zehn offiziell anerkannten indigenen Völker reserviert, die über zehn Prozent der 19 Millionen Einwohner Chiles ausmachen. Nach ihrer Konstituierung hat die Versammlung ein Jahr Zeit, um eine neue Verfassung auszuarbeiten, die dann der Bevölkerung in einem weiteren Referendum zur Abstimmung vorgelegt wird.

Zu dem Beschluss, eine neue Verfassung zu erstellen, kam es nach wochenlangen Massendemonstrationen. Die teils gewaltsamen Proteste hatten sich vor rund eineinhalb Jahren an den hohen Lebenshaltungskosten und der sozialen Ungleichheit entzündet. Millionen Menschen nahmen an Demonstrationen teil. Der Polizei wurde vorgeworfen, mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Protestierenden vorzugehen. Die Proteste weiteten sich zu einer Bewegung für eine Verfassungsreform aus.