Verband: Analphabeten fehlen Informationen zu Corona-Regeln

Verband: Analphabeten fehlen Informationen zu Corona-Regeln
26.04.2021
epd
epd-Gespräch: Patricia Averesch

Münster (epd). Menschen mit Lese- und Schreibschwäche fehlen laut dem Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung in der Corona-Krise notwendige Informationen über die häufig wechselnden Corona-Regeln. "Sie wissen nicht, wo sie die Informationen finden, oder sie sind so kompliziert und ausufernd formuliert, dass sie eine Hemmschwelle darstellen", sagte der Geschäftsführer, Ralf Häder, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Münster. Zwar böten viele Ministerien auf ihren Webseiten eine Vorlesefunktion oder Informationen in leichter Sprache an, nur sei es für Analphabeten schwierig, überhaupt zu diesen Angeboten zu gelangen.

In der Regel benötigten sie dazu Hilfspersonen, die sie anleiteten und ihnen den Zugang zu den Informationen erleichterten, erklärte Häder. Die Webseiten von Ministerien seien für bildungsaffine Nutzerinnen und Nutzer gestaltet und die speziellen Angebote für Menschen mit rudimentären Lese- und Schreibkenntnissen so versteckt platziert, dass Betroffene diese nur selten wahrnähmen. Ebenso hätten sie häufig Schwierigkeiten bei der Beantragung von coronabedingten Unterstützungsleistungen wie etwa Kurzarbeitergeld, fügte der Experte hinzu. "Alles was für uns 'Normale' in der Corona-Krise schon schwierig ist, ist für Menschen mit Lese- und Schreibschwäche eine noch größere Herausforderung."

Häder wies außerdem darauf hin, dass ein großer Anteil von Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen in prekären Beschäftigungsverhältnissen wie etwa Minijobs tätig sei. Die Corona-Krise habe für viele somit auch zum Jobverlust geführt. Während Analphabetismus in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend enttabuisiert und öffentlich sichtbarer worden sei, befürchtet der Experte in der Pandemie nun eine gegenläufige Entwicklung: "Die Gefahr der gesellschaftlichen Isolation von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche verstärkt sich."

Als Grund nannte Häder auch, dass Alphabetisierungskurse wegen Corona nicht regulär stattfinden könnten. Nur vereinzelt gebe es Träger, die Alternativen wie Lern-Spaziergänge, Telefonate oder Pakete mit Lernmaterialien anbieten. Digitaler Unterricht sei für Menschen mit Lese- und Schreibschwäche häufig nicht sinnvoll, sagte er. Viele hindere bereits fehlendes Equipment wie Computer sowie die Anwesenheit von Angehörigen, vor denen der Lern- und Schreibkurs womöglich verheimlicht werde, an der Teilnahme.

Rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland haben laut dem Verband nur rudimentäre Schreib- und Lesekenntnisse. Von ihnen nehmen rund 30.000 an Alphabetisierungskursen teil.