Oberammergau ist zum Labor für neues Denken geworden

Regisseur Christian Stückl inszeniert die Oberammergauer Festspiele
© epd-bild/Ulrich Oberst
Der Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, Regisseur Christian Stückl (re), erhielt die Buber-Rosenzweig-Medaille für seinen Einsatz gegen Antisemitismus von Friedhelm Pieper (li), evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und Rabbiner Andreas Nachama.
Oberammergau ist zum Labor für neues Denken geworden
Buber-Rosenzweig-Medaille für Spielleiter Stückl
Er versucht, das Stück vom Leiden Christi neu zu schreiben. Sein Ziel: Text und Bühnenbild der Passionsspiele von den Traditionen des Antijudaismus zu befreien. Dafür erhält Regisseur Christian Stückl die Buber-Rosenzweig-Medaille.

Stuttgart (epd). Für seinen Einsatz gegen Antisemitismus hat der Leiter der Oberammergauer Passionsspiele, Christian Stückl, die Buber-Rosenzweig-Medaille erhalten. Oberammergau sei in den letzten Jahrzehnten gleichsam zu einem "Labor" für neues Denken geworden und damit ein kraftvolles Zeichen gegen Antisemitismus, sagte der Münchner Erzbischof Reinhard Marx in seiner Laudatio am Sonntag in Stuttgart.

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx würdigte Stückl in seiner Laudatio in Stuttgart als jemanden, der dazu beitrage, den christlichen Glauben "ohne Antijudaismus zu verkünden und zu leben".

Die Passionsspiele seien zu einem Testfall geworden, "wie ernst wir Christen es meinen mit der Aufarbeitung und Bekämpfung der kirchlichen Judenfeindschaft", sagte Marx in der im Fernsehen übertragenen Würdigung. Es habe lange gedauert, bis die Kirche sich davon gelöst habe, die Juden als die Schuldigen für den Tod Jesu zu sehen, was verheerende Folgen bis heute habe.

Der 59-jährige Christian Stückl wurde 1987 zum Spielleiter in Oberammergau gewählt und setzt sich seitdem mit dem Vorwurf des christlichen Antijudaismus auseinander. An den alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspielen wirkt traditionell die Hälfte des oberbayerischen 5.000-Einwohner-Ortes Oberammergau mit. Die letzten Passionsspiele fanden im Jahr 2010 statt, aufgrund der Corona-Pandemie wurden die nächsten auf 2022 verschoben.

Man freue sich, wenn die Bemühung gegen Antijudaismus gesehen werde, sagte Stückl, der auch Intendant des Münchner Volkstheaters ist, bei der Übergabe des Preises. Aber der Preis sei auch eine Mahnung, dass es weitergehen müsse, Rassismus jeglicher Art zu bekämpfen.

In der Begründung der Preisvergabe heißt es, Stückl habe als Regisseur der Festspiele mit Geduld und Ausdauer Zug um Zug die Aufführung von ihrem judenfeindlichen Charakter befreit. Er halte Kontakt zu jüdischen Organisationen und fahre er mit den Hauptdarstellern vor Beginn der Probenarbeit ins Heilige Land, um die Umwelt und das Leben Jesu besser zu verstehen und besuche mit ihnen gemeinsam die internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Margaretha Hackermeier, katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, sagte, Stückl habe das Drehbuch der Passionsspiele von Antijudaismus befreit. Heute könnten die Zuschauer wie in einem szenischen Bilderbuch lernen, dass Jesus und seine Familien Juden waren.

Die undotierte Buber-Rosenzweig-Medaille ist nach den jüdischen Philosophen Martin Buber (1878-1965) und Franz Rosenzweig (1886-1929) benannt und wird seit 1968 jährlich von den deutschen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an Personen, Institutionen oder Initiativen vergeben, die sich in besonderer Weise für die Verständigung zwischen Christen und Juden einsetzen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen der Schriftsteller Navid Kermani, der Architekt Daniel Libeskind, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, und der Musiker Peter Maffay und zuletzt Angela Merkel. Die Preisverleihung aus der Stuttgarter Liederhalle fand ohne Publikum statt und wurde von den Stuttgarter Philharmonikern unter der Leitung von Chefdirigent Dan Ettinger musikalisch umrahmt und vom SWR übertragen.

epd lbm/lbw svo