Soziologe fordert entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsterrorismus

Soziologe fordert entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsterrorismus

Berlin, Jena (epd). Der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent hat entschiedenere Maßnahmen gegen Rechtsterrorismus in Deutschland gefordert. Seit 1990 habe es nach Angaben des Bundesinnenministeriums 109 Opfer rechtsterroristischer Taten gegeben, nach Angaben von Initiativen gegen Rechtsextremismus rund 200 Opfer, sagte er am Donnerstag anlässlich eines vom Mediendienst Integration mit Sitz in Berlin organisierten Gesprächs zum Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau am 19. Februar 2020. Darauf habe es bisher keine angemessene Reaktion der Gesellschaft gegeben. Viele der Anschläge seien nicht aufgeklärt worden.

Der Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) kritisierte, dass es in Deutschland anders als in Großbritannien oder den USA noch kein Strafgesetz gegen Hasskriminalität gebe. Viele rassistische Taten, die aus der Mehrheitsgesellschaft heraus begangen würden, würden nicht als extremistische Kriminalität begriffen. Auch sei die Polizei für die Erkennung und Erfassung solcher Taten noch unzureichend ausgebildet. Die Bewaffnung von Rechtsextremisten, soweit den Behörden bekannt, habe zwischen 2019 und 2020 um 35 Prozent zugenommen, fügte Quent hinzu. "Es mangelt am politischen Willen, diese Personen zu entwaffnen."

Den rechtsterroristischen Anschlägen von Hanau 2020, Halle 2019 und dem Mord an Walter Lübcke 2019 sei gemeinsam: "Das primäre Mordmotiv war Rassismus", erklärte Quent. Die Täter seien von Verschwörungsvorstellungen geleitet gewesen, dass es eine geheime Kraft gebe, die das deutsche Volk zugrunderichten wolle. Die Täter hätten sich als Vollstrecker eines höheren Ziels gefühlt. Zwar hätten sie die Morde alleine begangen, "aber niemand radikalisiert sich im luftleeren Raum", sagte der Soziologe. "Rechtsextremistischer Terror ist nicht auf Strukturen angewiesen, hat aber immer einen Kontext."

"Es liegt in der Hand der Gesellschaft, die Wahrscheinlichkeit von rassistischen Taten zu minimieren", betonte der Wissenschaftler. Die Gesellschaft müsse ihre "jahrhundertealte rassistische Prägung" kontinuierlich bearbeiten und der von den Tätern beabsichtigten Spaltung entgegenwirken. Die Behörden müssten gegen Verschwörungsideologien und "Hassgemeinschaften" vorgehen und Warnsignale besser wahrnehmen.

Die Anschläge von 2019 und 2020 hätten eine Sensibilisierung gegen Rechtsterrorismus in Deutschland bewirkt, befand Quent. Die Bildung eines Kabinettausschusses der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus gehe in die richtige Richtung. Der Ausschuss hatte im vergangenen November unter anderem angekündigt, mehr als eine Milliarde Euro zwischen 2021 und 2024 für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus bereitstellen. Es gebe jetzt eine öffentliche Diskussion über Rassismus. Allerdings sei das Thema noch kaum in Talkshows angekommen.

Der Forscher forderte eine internationale Zusammenarbeit, um rassistische und menschenfeindliche Gewalt zu identifizieren. Der Attentäter von Halle habe bei seinem von ihm live ins Internet übertragenen Anschlag englisch gesprochen, um ein internationales Publikum zu erreichen, erklärte Quent. Die Erfassung und Bekämpfung transnationaler Gemeinschaften von Extremisten sei eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte.