Schutzbrief soll Mädchen vor Genitalverstümmelung bewahren

Schutzbrief soll Mädchen vor Genitalverstümmelung bewahren
In der Corona-Pandemie sind Fortschritte im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Gefahr, weil Aufklärungsprogramme abbrachen. Familienministerin Giffey hofft, dass ein Dokument der Bundesregierung eine Schutzwirkung entfaltet.

Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) und Entwicklungsorganisationen haben zur stärkeren Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen aufgerufen. Giffey stellte am Freitag in Berlin einen Schutzbrief der Bundesregierung gegen diese Menschenrechtsverletzung vor. Der blaue Flyer im Passformat dokumentiere, dass Genitalverstümmelung in Deutschland ein eigener Straftatbestand ist, auch wenn sie im Ausland verübt wird, erklärte Giffey. Es drohten bis zu 15 Jahren Haft.

Der Schutzbrief, der in mehrere Sprachen übersetzt werden soll, sei ein Instrument zur Aufklärung und "ein Baustein im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung". Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation 200 Millionen Frauen von der Verstümmelung betroffen, vor allem in afrikanischen, arabischen und asiatischen Ländern. Drei Millionen Mädchen sind bedroht. Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung bezifferte die Zahl der Mädchen, die jedes Jahr verstümmelt werden, sogar auf 4,1 Millionen. In der Corona-Pandemie drohe eine Zunahme, warnte die Stiftung in Hannover.

In Deutschland leben laut Giffey 68.000 Frauen, die an ihren Genitalien beschnitten wurden, vor allem Migrantinnen, die oft lebenslang Komplikationen oder Schmerzen haben. Etwa 15.000 minderjährige Mädchen in Deutschland sind von diesem archaischen Eingriff bedroht, oft in den Ferien, wenn sie ihre Herkunftsländer besuchen. "Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Thema, dem wir uns auch in Deutschland stellen müssen", sagte die Ministerin.

Familien träfen oft auf die gesellschaftliche Erwartung, die traditionelle Praxis an ihren Töchtern vornehmen zu lassen, erklärte Giffey. Dann könnten sie den Schutzbrief mit der Überschrift der Bundesregierung vorweisen. "Das ist eine ganz klare Ansage mit dem Bundesadler vorne drauf", dass die Bundesregierung dagegen vorgehen werde, sagte sie. Wer die Genitalien eines Mädchens verstümmelt oder dies ermöglicht, riskiere neben Strafen auch den Verlust der Einreise- und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.

Giffey räumte ein, dass es bisher kaum Verurteilungen wegen weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland gab: "Das ist ein großes Dunkelfeld." Sie hoffe, dass der Schutzbrief auch dazu beitrage, dass das Unrecht häufiger angezeigt werde.

Die Sozialpädagogin Gwladys Awo, Erste Vorsitzende des Hamburger Vereins Lessan, sagte: "Das tut sehr, sehr weh, wenn man ein achtjähriges Mädchen sieht, deren Klitoris komplett zugenäht ist." Sie zeigte sich überzeugt, dass der Schutzbrief Mädchen im Ausland schützen werde. Eltern, die ihre Töchter vor der Verletzung bewahren wollen, könnten damit ihre Argumentation untermauern. Hamburg und einige andere Bundesländer hatten bereits ähnliche Schutzbriefe erstellt.

Der 6. Februar wird weltweit als Internationaler Tag gegen Genitalverstümmelung begangen. Das UN-Kinderhilfswerk und der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) beklagten, dass die Corona-Pandemie wichtige Aufklärungsprogramme unterbrochen habe und Fortschritte gefährde. Laut den Nachhaltigkeitszielen der Staatengemeinschaft soll die weibliche Genitalverstümmelung bis 2030 beendet werden, wie die beiden Organisationen betonten. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, seien in den nächsten zehn Jahren etwa 2,4 Milliarden US-Dollar nötig, weniger als 100 Dollar pro gefährdetem Mädchen. "Das ist ein sehr geringer Preis für die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit der jungen Frauen", erklärten Unicef und UNFPA.

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