Appelle zum Holocaust-Gedenktag: "Ihr müsst Zeugnis geben"

Appelle zum Holocaust-Gedenktag: "Ihr müsst Zeugnis geben"
Sechs Millionen Juden starben während der NS-Diktatur. Am 27. Januar wird weltweit an die Opfer des NS erinnert. Das Erinnern werde immer wichtiger, weil die Überlebenden weniger werden, mahnt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer.

Frankfurt a.M. (epd). An diesem Mittwoch wird in Deutschland und weltweit an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors erinnert. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar zu Wachsamkeit gegen jede Form von Antisemitismus auf. Er erinnerte in einer am Dienstag in Hannover veröffentlichten Stellungnahme an die Schuld der christlichen Kirchen im Nationalsozialismus. Dietrich Bonhoeffer sei einer der wenigen Theologen der NS-Zeit gewesen, der die ganze "theologische Abgründigkeit der Judenverfolgung" verstanden habe. Der NS-Gegner Bonhoeffer war am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet worden.

Die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, warnte vor antijüdischen Tendenzen in Deutschland. "Der Antisemitismus und die Gewalt gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland sind weiterhin allgegenwärtig. Fast jeden Tag passiert eine abscheuliche Tat mit antisemitischer Motivation", sagte die frühere Bundesjustizministerin am Dienstag in Düsseldorf. "Wirre Vorstellungen rund um die Coronavirus-Pandemie bedienen Vorurteile und begünstigen das erneute Aufflammen jahrhundertealter antisemitischer Verschwörungsmythen in neuem Gewand", betonte sie.

Die "Initiative 27. Januar" lädt am Mittwoch zu einem bundesweiten Online-Holocaustgedenken ein. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung "Gedenken Umdenken" wird den Angaben zufolge auch die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer (99) von ihren Erlebnissen im Nationalsozialismus erzählen. Friedländer forderte nach Angaben der Initiative die Deutschen auf, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus hochzuhalten: "Ihr müsst Zeugnis geben, wir sterben aus. Es ist für euch, für eure Zukunft." Die "Initiative 27. Januar" ist ein überkonfessioneller Zusammenschluss von Bürgern und Organisationen, die sich für das christlich-jüdische und deutsch-israelische Verhältnis engagieren.

Im Gedenken an den Holocaust ist nach Auffassung des Kirchenpräsidenten Martin Heimbucher die Frage nach den Ursachen für die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Anfängen des fabrikmäßigen Massenmordes unerlässlich. Den Weg dorthin hätten damals alle mitbekommen, "nämlich den Weg der brutalen und systematischen Entrechtung ihrer jüdischen Nachbarn", sagte der leitende Theologe der Evangelisch-reformierten Kirche am Dienstag in Leer. "Nur wenige haben sich dagegen aufgelehnt." Widerstand habe Mut gebraucht, erklärte Heimbucher, der in diesem Zusammenhang wie Bedford-Strohm auf den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) verwies.

Der Bundestag gedenkt am Mittwoch der NS-Opfer. Am 27. Januar 1945 wurde das NS-Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Die Vereinten Nationen riefen 2005 den 27. Januar als "Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust" aus. Seit 2006 wird er weltweit an zahlreichen Orten begangen.

Bis zum Kriegsende wurden rund sechs Millionen Juden ermordet. In Auschwitz starben rund 1,1 Millionen Menschen. Nach Angaben des Jüdischen Weltkongresses gibt es weltweit heute noch mehrere Hunderttausend Überlebende des Holocaust.

epd lbw/lnb/cez hei